Page - 428 - in Jugendkommunikation und Dialekt - Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
Image of the Page - 428 -
Text of the Page - 428 -
428 | Empirische Analysen
Die Sequenz einleitend beschreiben die Mädchen Nin und Bar zunächst ge-
meinsam das Setting der Handlung (die beiden Freundinnen stehen im Bade-
zimmer und rauchen). Das abrupte Kippen dieser entspannten Szene mit dem
Erscheinen der Jugendbetreuerin kennzeichnet Nin durch den Wechsel der
Erzählzeit in narratives Präsens: Das Geschehen wird damit in die Sprechzeit
versetzt, die konkrete Handlung (TĂĽr aufreiĂźen) wird betont. In den darauf fol-
genden Segmenten (Z. 1099ff.) werden die Äußerungen der Jugendbetreuerin
([Name]) und der beiden Sprecher/-innen Bar und Nin reinszeniert. Dies ge-
schieht jeweils ohne verbale Markierung der Redeteile – lediglich die Pausen
geben einen Hinweis darauf, welche Äußerung welcher Person zuzuordnen ist.
Die Zeilen 1099-1108 können wie folgt paraphrasiert werden:
Nin: Auf einmal reiĂźt die [Jugendbetreuerin] die TĂĽr auf [und ruft nach uns:]
„[Name des einen Mädchens]! [Name des anderen Mädchens]!“
[Wir denken?/sagen?/flüstern?:] „Fuck, fuck, fuck!“
Bar: [Wir haben] uns angeschaut-
Nin: [Wir machen] beide das Fenster auf-
[Wir werfen die] Zigaretten hinaus-
[Dann] gehen wir hinaus-
[und sagen/antworten:] „Ja?“
Dann sehe ich – schaue ich kurz nach hinten – und sehe wie die [Jugendbetreuerin] bei [Bar]
[Hand anlegt?/Bar packt?/die Tür zuschlägt?]: „Pack!“
Auffallend ist in dieser Sequenz, dass nicht nur der Zero-Quotativ zur Verstär-
kung der Dynamik und Dramatik der beschriebenen Szene verwendet wird,
sondern auch die nonverbalen Handlungen anhand kompakter Strukturen ge-
schildert werden. Diese Beobachtung deckt sich mit den AusfĂĽhrungen GĂĽnth-
ners (2006; 2007a; 2007b), die uneingeleitete Redewiedergaben mit anderen –
wie sie sie nennt – „Kondensierungs-verfahren“ (Günthner 2007a: 112) wie un-
eigentlichen Verbspitzenstellungen im narrativen Präsens und (mitunter sub-
jektlosen) Infinitkonstruktionen „im Kontext szenischer Darstellungen“
(Günthner 2006: 95) in Verbindung bringt. Äußerungen wie uns angeschaut –
beide das Fenster auf – Zigaretten hinaus beschreibt Günthner als „dichte Kon-
struktionen“ (Günthner 2006: 95). Ihrer Analyse zufolge tragen diese „rekurren-
ten, konventionalisierten, von der Standardgrammatik abweichenden Kon-
struktionen“ (99) in hohem Maße „zur pointierten Porträtierung schnell
ablaufender Ereignisketten“ (95) bei.506
||
506 Dass Verfahren der Verdichtung in Passagen szenischen Schilderns in den Gesprächen
der Jugendlichen besonders häufig zu beobachten sind, wurde schon im Rahmen der Analyse
des Pronomen-Wegfalls in Kapitel 4.4.3.3. ausführlicher dargestellt. In Erzählpassagen sind in
back to the
book Jugendkommunikation und Dialekt - Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol"
Jugendkommunikation und Dialekt
Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Title
- Jugendkommunikation und Dialekt
- Subtitle
- Syntax gesprochener Sprache bei Jugendlichen in Osttirol
- Author
- Melanie Lenzhofer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Date
- 2017
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-050330-2
- Size
- 14.8 x 22.0 cm
- Pages
- 502
- Category
- Geographie, Land und Leute