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auch Puschmann stellt Raimann kein einseitig positives Zeugnis aus. Zwar
habe Raimann das forschungsfeindliche Klima, das unter seinem Vorgänger
an der medizinischen Fakultät der Wiener Universität geherrscht habe, da-
durch zum Positiven verändert, dass er den bislang kaum ins Gewicht fallen-
den Vizedirektoren größeren Einfluss zugestanden habe: „Als Stifft i. J.
1836 starb, trat J. N. von Raimann an die Spitze der Medicinalverwaltung;
aber die Leitung des Studienwesens wurde hauptsächlich den Vicedirecto-
ren, welche unter Stiffts Direction geringen Einfluss ausgeĂĽbt hatten, ĂĽber-
lassen. Der Vicedirector Freiherr v. TĂĽrkheim war ein Freund wissenschaft-
lichen Strebens und suchte dasselbe zu begĂĽnstigen. Unter seinem Schutz
erhob die freie Forschung ihr Haupt und bereitete den Boden vor, auf dem
sich eine neue Blütheperiode der Medicin entwickeln sollte.“38 So gesehen
wäre Raimann lediglich Vertreter einer veralteten, sozusagen vorwissen-
schaftlichen Auffassung von Medizin gewesen, dessen hauptsächliches Ver-
dienst es gewesen sei, jĂĽngeren, mit wahrem (natur-) wissenschaftlichem
Geist forschenden Medizinern nicht den Weg zu verbauen. Diese Sicht der
Dinge von Theodor Puschmann, eines Mediziners, der unter anderem in
Wien studiert und sich auĂźer auf die Medizingeschichte auch noch auf die
Psychiatrie spezialisiert hatte, spiegelt wohl seine eigene Auffassung von
einer möglichst wissenschaftlichen Medizin wider – und darüber hinaus die
gegen Ende des 19. Jahrhunderts gängige Auffassung, dass erst mit dem
Einfluss der Naturwissenschaften die Medizin zu einer den Menschen Heil
bringenden Institution werden konnte: „Die Befreiung von jenem Treiben
der Aerzte in frĂĽheren Zeiten hat die Menschheit einzig und allein den Na-
turwissenschaften zu verdanken. […] Spricht man aber in der Medizin von
einer naturwissenschaftlichen Epoche, so meint man die gegenwärtige, deren
Beginn man erst von der zweiten Hälfte der dreissiger Jahre [des 19. Jahr-
hunderts] datieren kann.“39 Der im Jahr 1844, dem Jahr, da Raimann das
medizinische Referat bei der Studien-Hofkommission ĂĽbernommen hatte,
geborene Puschmann war selbst ein Anhänger jenes „wissenschaftlichen
Strebens“ und jener „freien Forschung“, die zu Zeiten seines Wirkens, in der
zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zur Selbstverständlichkeit geworden
waren.40 In den letzten Lebensjahren Raimanns war das wissenschaftliche
38 Puschmann, Die Medicin in Wien, S. 188.
39 Ernst Hallier, Kulturgeschichte des Neunzehnten Jahrhunderts in ihren Beziehungen
zu der Entwicklung der Naturwissenschaften (Stuttgart 1889), S. 458.
40 Zu Puschmann vgl. Deutsche Biographische Enzyklopädie (DBE), Bd. 8 (Plett-
Schmidseder) (MĂĽnchen 1998), s.v. Puschmann, Theodor, S. 93.
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Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832