Page - 85 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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In den aus der Zukunft auf den Leibarzt Franz I. gerichteten Augen Pusch-
manns zog also der den Vorstellungswelten des neoabsolutistischen Regimes
Metternichs und der Habsburger zur Zeit des Vormärz verhaftete Johann
Nepomuk Raimann nicht „muthig und siegesgewiss der neuen Zeit“ entge-
gen. Kurz nach seinem Ableben aber erntete Raimann ein Lob, das als
schmeichlerisch zu bezeichnen gewiss nicht übertrieben ist. Die „Encyclo-
pédie biographique“ attestiert Raimann, dass seine Schüler ihn ob der Hell-
sichtigkeit seiner Beobachtungen und der Klarheit seines Vortrags enthusias-
tisch verehrt hätten und dass er ein wahrer Segen für die Kranken gewesen
sei: „On peut dire, sans ĂŞtre taxĂ© d’exagĂ©ration, que dans cette circonstance Ă
jamais mémorable, M. le docteur de Raimann fut une vraie providence pour
les malades et les blessés qui eurent le bonheur de recevoir ses soins; aussi
son nom est-il resté vénéré dans leur mémoire; douce et chère récompense
bien digne d’envie!“47 Aber nicht nur für die Kranken sei Raimann ein Licht
in der Finsternis gewesen, auch der Wissenschaft habe er Dienste wie kaum
jemand vor oder nach ihm erwiesen, „peu d’hommes ont rendu à la science
et à l’humanité des services aussi éminents que ceux que leur a rendus, dans
tout le cours de sa carrière, l’illustre professeur dont nous déplorons la per-
te.“48
FĂĽr den Historiker ist es stets ein Leichtes, es im Nachhinein besser zu wis-
sen und Kritik zu ĂĽben. Daher wollen wir hier, am Ende der AusfĂĽhrungen
zu Johann Nepomuk Raimanns Wirken und Werdegang, dem oft nur höh-
nisch propagierten Grundsatz de mortibus nil nisi bonum folgen und die von
Raimanns französischen Biographen angeführten Vorzüge seines Charakters
auflisten. Diese persönlichen Tugenden aber ins Deutsche übersetzen zu
wollen, hieĂźe, sie zu vulgarisieren; freilich ist es, nach der LektĂĽre von The-
odor Puschmanns AusfĂĽhrungen, nur mehr schwer zu glauben, dass, wie die
„Encyclopédie biographique“ versichert, Raimann keine Feinde gehabt habe.
Aber ein „offener und loyaler Charakter mit edlem Empfinden“, der als
„Modell für einen Staatsbürger, für einen Untertan und für ein Familien-
oberhaupt“ dienen konnte, verdient ohne Zweifel die Wiedergabe einer fran-
zösischen Lobeshymne auf seine Person. Selbstredend bleibt es jedem Leser
unbenommen, sich nach der Lektüre des Raimann’schen Reiseberichts ein
eigenes Bild von Raimanns Charakter zu machen. Wie gesagt, die rezente
47 Encyclopédie biographique, S. 27.
48 Encyclopédie biographique, S. 30.
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832