Page - 88 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Image of the Page - 88 -
Text of the Page - 88 -
88
Krankenhäuser ging. Nun ist Raimanns Reisebericht nicht allzu umfang-
reich, was wohl vor allem darauf zurückzuführen sein dürfte, dass es sich
dabei um private, nicht für die Publikation vorgesehene Notizen handelt, die
er zur persönlichen Erinnerung niedergeschrieben hat.
Raimann betrachtete die bereisten Länder und Städte und die Bevölkerung
derselben aus der Perspektive des kaiserlichen Hofstaats. Wer mit dem Kai-
ser reiste, konnte so manche Erfahrung, die für einen bürgerlichen Reisenden
prägend sein mochte, gar nicht machen. Mit den Schikanen und Unannehm-
lichkeiten, die gewöhnliche Reisende im Kaisertum Österreich von Seiten
der Obrigkeit zu erdulden hatten, wurden der Kaiser und seine Entourage
nicht konfrontiert, sodass Raimann die jedem am raschen Weiterkommen
interessierten Reisenden äußerst lästige „k.k. Maut-, Zoll- und Polizeiplacke-
rei“ erspart blieb. Damit ist die Tatsache angesprochen, dass zu jener Zeit
eine Reise durch Österreich nicht nur durch „das Österreich des wirtschaftli-
chen Aufschwungs und der beginnenden Industrialisierung“ führte, sondern
auch durch „das dunkle Österreich franziszeischer Behördenwillkür und
Geheimpolizei, der Naderer, Zensur und Briefüberwachung“, wie Andreas
Helmedach ausführt.54 Die durch das Reisen hervorgebrachte, potentiell
subversive Mobilität entsprach nicht dem ruhigen und wohlgeordneten Bild,
das Franz I. und Metternich von einem gut und ordentlich regierten Staat
hatten. Dem Kaiserstaat Österreich ging es damals ähnlich, wie der heutigen
Volksrepublik China: Man wollte Modernisierung, Industrialisierung und
Effizienzsteigerung, um die Macht und Schlagkraft des Staates zu erhöhen,55
54 Andreas Helmedach, Das Verkehrssystem als Modernisierungsfaktor. Straßen, Post,
Fuhrwesen und Reisen nach Triest und Fiume vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum
Eisenbahnzeitalter (München 2002), S. 444f.
55 Zur Geschichte und Charakteristik der neuzeitlichen Staatskonzepte in Europa vgl.
Albrecht Koschorke u.a., Der fiktive Staat. Konstruktionen des politischen Körpers in der
Geschichte Europas (Frankfurt/Main 2007); Hagen Schulze, Staat und Nation in der
europäischen Geschichte (München ²1995); Miloš Vec, Recht und Normierung in der
Industriellen Revolution. Neue Strukturen der Normsetzung in Völkerrecht, staatlicher
Gesetzgebung und gesellschaftlicher Selbstnormierung (Frankfurt/Main 2006). Zur
Normierung immer weiterer Lebensbereiche durch den Staat, der sich hierzu der Justiz
bediente, vgl. Gernot Kocher, Höchstgerichtsbarkeit und Privatrechtskodifikation. Die
oberste Justizstelle und das allgemeine Privatrecht in Österreich von 1749-1811 (Wien
u.a. 1979). Zur Legitimierung staatlicher Machtansprüche durch die Berufung auf ‚natio-
nale Gründungsmythen‘ vgl. Monika Flacke (Hrsg.), Mythen der Nationen: Ein europäi-
sches Panorama (München, Berlin ²2001); darin findet sich auch ein von Ernst Bruck-
back to the
book Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832"
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832