Page - 100 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Image of the Page - 100 -
Text of the Page - 100 -
100
Liebe seines Volkes zu erwerben und zu erhalten. In glücklichen wie un-
glücklichen Tagen hing es ihm stets mit unerschütterlicher Treue an.“76 Sei-
ne Strenge und sein konservativer Starrsinn konnten des Kaisers Popularität
nicht mindern. „Der Kaiser fühlte sich als Patriarch einer großen Familie, der
er ein strenger, aber auch fürsorglicher Landesvater war, der sich nicht
scheute, auch die Details der Lebensführung seiner Familie und Untertanen
wie ein Staatsbeamter zu regeln. Sein guter Wille wurde von seinem Volk
anerkannt, das dem Kaiser Liebe und Verehrung entgegenbrachte. Trotz
seiner vielen Niederlagen und Verluste an Menschen, Land und Gut stieg
seine Popularität im Volke ständig. Für die Wiener war er ‚der gute Kaiser
Franz‘.“77 Die der Verehrung großer Männer kritischer gegenüber stehende
Geschichtswissenschaft unserer Tage streicht heraus, dass dieses Bild vom
fürsorglichen Landesvater, der seinen Staat streng, aber liebevoll regierte,
wie ein keinen Widerspruch duldender pater familias seine Familie, gekonnt
in Szene gesetzt war. Die Maske des Familienvaters habe Franz I. nur aufge-
setzt, um das Volk leichter nach seinem Willen lenken zu können:
„Der ‚gute‘ Kaiser Franz (1792-1835) hat es hervorragend verstanden, sich
selbst als gutmütigen, etwas bürokratischen ‚Vater‘ seiner Untertanen, König-
reiche und Länder zu inszenieren. Das reicht vom etwas hinterhältigen Geha-
be des audienzgebenden Fürsten, der ja alles gern für seine Untertanen täte,
wenn ihn die Bürokratie nur ließe, bis hin zum anonymen und dadurch umso
wirkungsvolleren Auftritt des Kaisers bei einem Armenbegräbnis. Kaiser
Franz unterstrich diese Attitüde eines bürgerlichen Paternalismus auch durch
sein Äußeres: Er trug häufig zivile Kleidung, Frack und Zylinder (neben den
großen zeremoniellen Herrscherporträts im Königsornat oder in Uniform).“78
Den Habsburgern blieb freilich auch nichts anderes übrig, als den Kaiser in
den Mittelpunkt ihrer Propaganda zu stellen. Anders als die Herrscherhäuser
anderer europäischer Staaten konnten sich die über einen Vielvölkerstaat
herrschenden Habsburger nicht als Kristallisationspunkt einer durch gemein-
76 ADB, Bd. 7, s.v. Franz I. (Josef Karl), S. 288.
77 Hartmann, Schnith, Die Kaiser, S. 676. Zu den Familienstrukturen und zum Familien-
leben (wie auch zu Politik, Gesellschaft und Geistesleben im Allgemeinen) jener Zeit
vgl. Friedrich Anton von Schönholz, Traditionen zur Charakteristik Österreichs, seines
Staats- und Volkslebens unter Franz I. Eingeleitet und erläutert von Gustav Gugitz, 2
Bde. (München 1914).
78 Ernst Bruckmüller, Österreich. „An Ehren und an Siegen reich“, in: Monika Flacke
(Hrsg.), Mythen der Nationen: Ein europäisches Panorama (München, Berlin ²2001), S.
269-294, 288ff.
back to the
book Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832"
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832