Page - 103 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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erklären, die Cholera sei durch bloße Berührung nicht ansteckend und be-
suchte selbst die Choleraspitäler. Auf den Rat eines Ministers, sich und seine
Familie nach Salzburg in Sicherheit zu bringen, antwortete er: ‚Meine Unter-
tanen haben schon so viele Leiden mit mir geteilt; ich will dieses Leiden
auch mit ihnen teilen!‘.“84 Es war also nicht die Angst vor der Cholera, wel-
che die Reise des Kaisers veranlasste; vielmehr harrte er in Wien aus, bis das
Schlimmste vorüber war, und als die Epidemie im März 1832 abflaute, kam
eine Reise wohl gelegen, um die Spannung und Sorgen der schweren Zeit
ablegen und das vierzigste Regierungsjubiläum gebührend feiern zu können.
Ein echter Kaiser lässt sich von einem Bakterium namens „Vibrio cholerae“,
„dessen Toxin (Choleratoxin) zu starkem, reiswasserartigem Durchfall mit
enormem Flüssigkeitsverlust führt“,85 nicht ins Bockshorn jagen.
Kaiser Franz I. konnte von jenem Bakterium „Vibrio cholerae“ noch nichts
wissen. Sollte er seinen Leibarzt konsultiert und über das Wesen der Cholera
befragt haben, so konnte dieser ihm folgende Auskunft geben: „Der Brech-
durchfall (uneigentlich Gallenruhr genannt (cholera) besteht in wieder-
holten, gleichzeitig oder schnell und oft auf einander folgenden heftigen
Erbrechen und Durchfällen, mit gleichzeitigen Magen- und Darmschmerzen,
und mit Aufblähung des Unterleibs verbunden.“86 Die genauere Schilderung
des Krankheitsverlaufs in Raimanns „Handbuch der speciellen medicini-
schen Pathologie und Therapie“ führt dem Leser ein plastisches Bild von den
Leiden der an Cholera Erkrankten vor Augen:
„Der Brechdurchfall tritt öfter plötzlich als nach kurzen, 12 bis 24 Stunden
dauernden Vorbothen ein, dergleichen sind: Abgeschlagenheit, Uebelkeit,
Blähungen, bitteres oder saures, scharfes, übel riechendes Aufstoßen, Sod-
brennen, Magendrücken, Gefühl von Völle und Beängstigung in der Magen-
gegend, Magen- und Darmschmerzen, mit Brennen verbundener Abgang ei-
nes trüben, dicken, gelblichgrauen und stinkenden Urins, vermehrter Zufluß
von Speichel. Beym Eintritte des Brechdurchfalles nehmen die meisten dieser
Zufälle zu, der Kranke fühlt außerordentliche Angst in der Magengrube, auch
wohl im ganzen Unterleibe, heftigen Durst, Kälte an den äußeren und bren-
nende Hitze in den inneren Theilen, Frost und Hitze abwechselnd, wobey der
Puls klein, krampfhaft zusammengezogen, hart, äußerst beschleunigt, unor-
dentlich ist. Mit dem Erbrechen und Durchfalle werden zuerst gewöhnlich
Speisen, Getränke, Schleim, oder was etwa sonst gerade in den ersten Wegen
84 Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 199.
85 Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 200.
86 Raimann, Handbuch, Bd. 2, S. 452.
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832