Page - 105 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Image of the Page - 105 -
Text of the Page - 105 -
105
„Die wichtigsten Mittel sind hier, wenigstens zur Mäßigung des heftigen
Sturmes, die Opiate, anfangs in kleinen Gaben, schleimige Absüde, eine
Mandelmilch, oder Oehl-Mixtur, das Riveri'sche Tränkchen; bey vollblüti-
gen, starken Individuen, so wie überhaupt bey begründeter Besorgniß einer
Entzündung, der Aderlaß, und örtliche in der am anhaltendsten schmerzhaften
Oberbauchgegend anzustellende Blutentleerungen; schleimige, mit Opium
versetzte Klystiere.“89
Das Opium mag wenigstens zur Linderung von Schmerzen beigetragen ha-
ben – der Aderlass aber und die empfohlenen örtlichen Blutentleerungen
trugen gewiss nicht zur Stärkung der aufgrund des Flüssigkeitsverlustes oh-
nehin schon geschwächten Patienten bei. Die Empfehlung des Aderlasses
wird etwas verständlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, dass sich erst im
Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein naturwissenschaftliches
Krankheitsbild in der Medizin durchsetzte und dass auch die nach dem Wis-
sensstand des späten 18. Jahrhunderts ausgebildeten Ärzte, aufbauend auf
aus der Antike stammende Theorien wie der Viersäftelehre, davon ausgin-
gen, dass verunreinigtes Blut die Ursache für so manche Krankheit sei und
dass es daher sinnvoll sei, „dass man das kranke, vom Organismus produ-
zierte Blut absaugte, um so die Giftstoffe aus dem Körper zu entfernen und
dem neu zu bildenden gesunden Blut Raum zu schaffen.“90 Der Aderlass und
„andere ‚ausleerende‘ Verfahren“91 waren also Ausfluss des kaum angefoch-
tenen medizinischen Fachwissens der Zeit um 1800 und Standardrepertoire
der Ärzte, „die den Glauben an die konventionellen Methoden und das the-
rapeutische Dreigestirn (Aderlaß, Klistier, Abführmittel) nicht völlig verlo-
ren hatten“.92 Dass der Aderlass, lokale Blutentleerungen und das Schröpfen
Bestandteile einer Therapie waren, „die einem wirklich Kranken dann auch
noch das Blut nahm, das dessen Gewebe mit den lebensnotwendigen Stoffen
hätte versorgen können“, und dass so „der Patient eher zu Tode als zur Ge-
89 Raimann, Handbuch, Bd. 2, S. 456. In dem hier zitierten, in der Sondersammlung der
Universitätsbibliothek Graz unter der Signatur I 213734/2 eingestellten Exemplar von
Raimanns „Handbuch“, steht am linken Rand neben dem mit Tinte unterstrichenen „Ri-
veri’schen Tränkchen“ von unbekannter Hand in Kurrentschrift (nur das lateinische „sal
absinthii“ ist in ebensolchen Buchstaben verfasst) geschrieben: „besteht aus sal absinthii
und Citronensäure“, womit die Zusammensetzung dieses Trankes erklärt ist.
90 Breidbach, Bilder des Wissens, S. 74.
91 Robert Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin. Von der Volksmedizin zu den
unkonventionellen Therapien von heute (München 1996), S. 28.
92 Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 108.
back to the
book Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832"
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832