Page - 106 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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sundheit kam“93, ist uns heute bekannt; Raimann ging da von gänzlich ande-
ren Prämissen aus.
Zwar empfahl Raimann auch noch mildere Therapien, so zum Beispiel
„kleine Gaben (1/3 – 1 Eßlöffel voll) eines milden guten Weines“, „trockene
aromatische oder mit Wein, Weingeist, einem aromatischen Geiste befeuch-
tete Ueberschläge“, „Waschungen des Rückgraths oder Unterleibs mit Wein
oder einem aromatischen Geiste“, „lauwarme Fuß- und Halbbäder“ oder,
„bey hartnäckiger Fortdauer des Uebels“, „trockene Schröpfköpfe“, „Senf-
teig“ und „Blasenpflaster in die Magengegend angewendet“,94 dennoch er-
scheint es als verwunderlich, dass bei derlei Behandlungsmethoden nicht
noch mehr Cholera-Tote zu beklagen waren. Heute weiß man um die Ursa-
chen der Cholera, eben um mangelnde Hygiene und um den Genuss von mit
„Vibrio cholerae“ verseuchtem Wasser, besser Bescheid, und ebenso um die
geeignete Therapie: „Die wichtigste Behandlungsmaßnahme ist der ausrei-
chende Ersatz von Flüssigkeit, Zucker und Salzen.“95 Endgültig in den Griff
bekam man die Cholera erst im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhun-
derts, als man die Ableitung der Abwässer und die Verbesserung der Trink-
wasserversorgung durch Zuleitung sauberen Wassers in Angriff nahm. „Da-
zu waren hohe Investitionen nötig, die baulichen Veränderungen verschlan-
gen Unsummen und veränderten das Gesicht ganzer Städte.“96 In Wien
bannte erst die Versorgung der Bevölkerung mit Wasser aus einer 1873 er-
öffneten, vom Schneeberg in die Stadt führenden Hochquellenwasserleitung
und die darauf folgenden weiteren Verbesserungen der Trinkwasserversor-
gung die Gefahr der großen Choleraepidemien.97 – So viel zur Cholera, de-
ren Wüten im Wien des Jahres 1832 den Kaiser veranlasst hatte, in vorbildli-
cher Weise bei der leidenden Bevölkerung auszuharren, und deren Abklin-
gen im März dieses Jahres es ermöglichte, dass Franz I. sich im Mai guten
Gewissens auf Reisen begeben konnte.
93 Breidbach, Bilder des Wissens, S. 74.
94 Raimann, Handbuch, Bd. 2, S. 456f.
95 Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 200.
96 Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 202. Die Herausforderung der Stadtverwaltung
durch die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie die städtebaulich damit
einhergehenden Maßnahmen schildert am Beispiel Londons sehr schön Peter Hall in
Hall, Cities in Civilization, S. 683-705.
97 Vgl. Ehrlich, Ärzte, Bader, Scharlatane, S. 202f.
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Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832