Page - 111 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Image of the Page - 111 -
Text of the Page - 111 -
111
und heilen. Gegen Ende seines Lebens sollte er, wie bereits erwähnt, das
Aufbegehren der wissenschaftsgläubigen jungen Wiener Schule miterleben
und sich von ihren Vertretern als wissenschaftsfeindlicher „Facultätstyrann“
bezeichnen lassen müssen. Der Homöopathie stand er darob aber um nichts
freundlicher gegenüber. Wir würden heute Raimann wohl einen ‚Schulmedi-
ziner‘ nennen, aber von dem sich im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts
herausgebildeten begrifflichen Gegensatzpaar „Kurpfuscherei“ kontra
„Schulmedizin“ und auch vom Gegensatz zwischen „Naturheilkunde“ und
„naturwissenschaftlicher Medizin“ konnte des Kaisers Leibarzt selbst noch
nichts wissen. Während seiner Studienzeit führte die „zünftige“ Medizin
einen oft vergeblichen Kampf gegen die von der Bevölkerung nicht selten in
Anspruch genommenen Heilkünste von Badern, Hirten, Abdeckern, Zaube-
rinnen und anderen „Quacksalbern“.103 Freilich klingen derlei Einteilungen
heute, da wir einen professionalisierten und hoch spezialisierten Gesund-
heitssektor kennen, der doch recht klar von alternativ-medizinischen Kon-
zepten abgegrenzt ist, gar zu eindeutig, sodass sie der medizinhistorischen
Realität zu Raimanns Zeit nicht gerecht werden können; und es wäre „aller-
dings eine Art historischer Kurzschluß, den heute weitgehend ‚professionali-
sierten‘ Gesundheitssektor mit dem zwar obrigkeitlich kontrollierten, in vie-
len Belangen aber eher ‚halbprofessionellen‘ Gesundheitssystem der vorin-
dustriellen Epoche auf eine Stufe zu stellen.“104 Ein Terminus wurde auf die
der Homöopathie ablehnend gegenüberstehenden Ärzte wie Raimann von
Anhängern derselben aber allerdings in Anschlag gebracht, der des Allopa-
then. So wurden von den Homöopathen Ärzte genannt, die den Kranken
Arzneien verabreichten, die im gesunden Körper ein anderes Übelbefinden
hervorrufen, als die zu behandelnde Krankheit, daher der Begriff „Allopa-
thie“ (von griech. a)/lloj, „anders“, und pa/qoj, „Leid, Krankheit“ für die
Medizin, die nicht nach dem Ähnlichkeits- oder Simile-Prinzip vorgingen.105
Damit sind wir aber schon mitten im Gedanken-Kosmos der Homöopathie,
die sich von griech. o(moi=oj, „ähnlich“, und eben wieder pa/qoj, „Leid,
Krankheit“ ableitet und von dem von Samuel Hahnemann begründeten
Grundsatz ausgeht, dass eine Krankheit mit Arzneien geheilt werden müsse,
103 Zu all diesen Begriffen bzw. Begriffspaaren vgl. Jütte, Geschichte der Alternativen
Medizin, S. 17-65.
104 Jütte, Geschichte der Alternativen Medizin, S. 19.
105 Zum Begriffspaar „Homöopathie“ kontra „Allopathie“ vgl. Jütte, Geschichte der
Alternativen Medizin, S. 23-27.
back to the
book Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832"
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832