Page - 133 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Image of the Page - 133 -
Text of the Page - 133 -
133
Das Wetter und die Wege wurden langsam wieder besser, und so hatte sich
auch Raimanns Laune gewiss wieder verbessert, als man, ĂŒber Visina-
da/ViĆŸinada reisend, am 27. Mai 1832 um 14 Uhr in Parenzo/PoreÄ ankam.
Und doch sollte Raimann auch in Parenzo nicht alles zum Besten bestellt
finden. Zwar wies die Stadt von Natur aus alle Voraussetzungen auf, die ein
Gemeinwesen braucht, um blĂŒhen zu können: Die fruchtbare Bodenbeschaf-
fenheit und die der âNachmittagssonneâ, also dem SĂŒdwesten zugewandte
Lage sorgen dafĂŒr, dass âOehlbĂ€ume und der Weinstock trefflich gedeihenâ,
und Wein und Olivenöl waren auch die wichtigsten HandelsgĂŒter der lokalen
Wirtschaft. Der Wein, âwelcher geistig und wohlschmeckend istâ, war aber,
wie Raimann von seinem Quartiergeber, einem gewissen Herrn von Vergo-
tini, erfuhr, nicht nur verantwortlich fĂŒr das wirtschaftliche Fortkommen der
Einwohner von Parenzo, sondern auch fĂŒr deren Stagnation in kultureller
Hinsicht: âDas gemeine Volk soll in dieser Gegend (wie auch anderwĂ€rts in
Istrien) trĂ€ge, und dem Trunke sehr ergeben seyn.â TrĂ€gheit und Trunksucht
â zwei Faktoren, die, in Kombination zumal, gewiss nicht als solide Grund-
lage kultureller BlĂŒte bezeichnet werden können. Aber, Gott sei Dank, Kir-
che und Staat wussten doch um Mittel, wie der Trunksucht und der TrÀgheit
beizukommen war. Wenn auch in Parenzo die Kirche ihre die Kultur heben-
de Aufgabe nur sehr eingeschrÀnkt wahrnehmen konnte, da der Klerus zah-
lenmĂ€Ăig zu gering und zu ungebildet war, so sprang doch der Staat mit
einem seiner wirkungsvollsten Disziplinierungsinstrumente, dem MilitÀr, in
die Bresche: âEine militĂ€rische Erziehung, meinte Hr. v. Vergotini, wĂŒrde
die jetzige Generation im Zaume halten, die kommende verbessern, und
somit nach u[nd] nach die ganze Provinz veredeln. Die Geistlichkeit des
Landes, da nur der Bischof und einige Andere in Wien gebildet wurden, ist
hiezu weder geeignet noch zureichend.â
Diese Passage aus Raimanns Reisebericht illustriert sehr schön die BemĂŒ-
hungen des neuzeitlichen europÀischen Staates, mittels verschiedener Institu-
tionen wie Schule, MilitÀr und Rechtssystem die Bevölkerung zu disziplinie-
ren und so aus ihren Partikularinteressen verschriebenen, bisweilen liederli-
chen Menschen brauchbare Untertanen und StaatsbĂŒrger zu machen, die ihre
KrÀfte und FÀhigkeiten einem höheren Interesse, eben dem des Staates, un-
terzuordnen und dienstbar zu machen bereit waren. Menschen, die nicht
bereit waren, sich bilden und zivilisieren zu lassen, wurden vom Staat als
potentielle Feinde angesehen, die ihm aufgrund der subversiven Wirkung
ihres Widerstandes gefÀhrlich werden konnten. Daher ging der Staat gegen
diese RestbestĂ€nde sozusagen âmittelalterlicherâ Gesinnung vor und versuch-
back to the
book Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832"
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832