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Was Raimann in Rovigno beobachten konnte, war also eine vergleichsweise
doch recht milde Form der Isolation. Nur nebenbei sei hier erwähnt, dass die
Ostküste der Adria etwa 50 Jahre später in den Plänen des berühmten Grazer
Kriminologen und Begründers der „Österreichischen Schule der Kriminolo-
gie“, Hans Gross, eine gewisse Rolle spielen sollte. Gross plante nämlich,
unverbesserliche und sogenannte degenerierte Kriminelle an entlegene Orte
zu deportieren, wo sie sich selbst überlassen bleiben sollten, sodass der ös-
terreichische Staat ohne allzu großen Kostenaufwand vor ihnen geschützt
werden könnte. Als mögliche Lokationen für derartige Deportiertenkolonien
boten sich die Inseln vor der dalmatinischen Küste geradezu an. Etwas gänz-
lich anderes hatte Hans Grossens Sohn, der Psychiater und Anarchist Otto
Gross, mit diesen Inseln im Sinn: Er wollte hier Liebesinseln schaffen, auf
denen sich Freigeister ungehemmt den freizügigsten sexuellen Freuden hin-
geben sollten. 187 Otto Grossens Pläne wurden in dieser Form nicht verwirk-
licht, lediglich einige FKK-Strände sollten an den adriatischen Küsten im 20.
Jahrhundert eröffnet werden. Und auch der österreichische Staat richtete
keine Sträflingsinseln vor der dalmatinischen Küste ein – ein Versäumnis,
das dann nach dem Zweiten Weltkrieg Jugoslawien nachholte.188 Von den
Inselplänen der Grossens konnte Johann Nepomuk Raimann freilich noch
nichts wissen; ihm war, die istrischen Inseln betreffend, nur aufgefallen, dass
er auf einer von ihnen, nämlich „auf der vor u in dem Haaven [von Parenzo]
liegenden Insel“, die „ersten Loorberbäume“ gefunden hatte. Und in Ro-
vigno sah dann „die ersten zwey Oehlmühlen, welche von Pferden getrieben
werden.“
Am 31. Mai verließen Raimann und der Kaiser Rovigno in Richtung Digna-
no/Vodnjan. In diesem Städtchen stach Raimann vor allem die „viele schöne
187 Zu Hans Grossens Sträflings- und Otto Grossens Liebesinseln vgl. Gerhard M. Die-
nes, Ervin Dubrović, Gernot Kocher (Red.), Očeva država – majčin sin / Vaterstaat –
Muttersohn. Katalog zur gleichnamigen Ausstellung im Stadtmuseum Rijeka (Rijeka
2007). Zu Hans Gross und der in Graz begründeten österreichischen Schule der Krimino-
logie vgl. Christian Bachhiesl, Zur Konstruktion der kriminellen Persönlichkeit. Die
Kriminalbiologie an der Karl-Franzens-Universität Graz (Hamburg 2005); Christian
Bachhiesl, Der Fall Josef Streck. Ein Sträfling, sein Professor und die Erforschung der
Persönlichkeit (Wien u.a. 2006); Christian Bachhiesl, Die Grazer Schule der Kriminolo-
gie. Eine wissenschaftsgeschichtliche Skizze, in: Monatsschrift für Kriminologie und
Strafrechtsreform (im Druck).
188 Zu den jugoslawischen Sträflingsinseln Goli Otok und Grgur vgl. Wolfgang Althof,
Sträflingsinseln. Schauplätze der Verbannung (Hamburg u.a. 2005), S. 170-173.
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832