Page - 164 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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Antike und ihren Ăśberbleibseln war und noch sein mag, seit der frĂĽhen Neu-
zeit wurden antike Gegenstände und Kunstwerke verstärkt gesammelt, und
seit sich eine bürgerlich geprägte Gesellschaft entwickelte, nicht mehr nur
von Adeligen, sondern eben auch, wie uns Raimann berichtet, von BĂĽrgerli-
chen. Juristen und Ärzte nennt er als Mitglieder des „Lesekabinetts Miner-
va“. Das Bürgertum hatte sich der Pflege der antiken Kultur verschrieben, in
welcher es auch die eigenen Werte verwurzelt sah.212 Die Berufung auf die
Freiheiten und politischen Rechte der Bürger der römischen Republik oder
der attischen Demokratie hatte, nebenbei bemerkt, auch eine politische, ja
bisweilen revolutionäre Signifikanz, konnte sie doch dazu dienen, die Forde-
rungen des BĂĽrgertums nach Teilhabe an den politischen Angelegenheiten
zu legitimieren. Von solchen Auswirkungen der Verehrung von allem Anti-
kem wollten der Kaiser und sein Gefolge wohl nichts hören; aber die Antike
bot mit den römischen Imperatoren ja auch Vorbilder für monarchische oder
gar – wenn man den Blick auf den spätantiken Dominat lenkt – autokratische
Regierungsformen, sodass es fĂĽr Metternich und den Kaiser nicht notwendig
war, die Liebe zur Antike für grundsätzlich suspekt und staatsschädlich zu
erklären. Guten Gewissens konnte daher Raimann die ihm verehrten „Ge-
dächtniß-Medaillen“ der Triestiner Antiken-Sammler entgegennehmen. Dass
aber gerade in Triest viel Antikes gesammelt wurde, ist nicht weiter verwun-
derlich: Zum einen befand man sich auf altrömischem Territorium, und
Triest und seine nähere und weitere Umgebung weisen auch heute noch
zahlreiche antike Highlights auf; hier sei nur kurz an Aquileia, Grado und
das bereits im Hinblick auf seine antiken Monumente besprochene Pola er-
innert. Zum anderen aber war Triest auch jener Hafen, in dem die fĂĽr Mittel-
europa bestimmten, per Schiff aus dem östlichen Mittelmeerraum herbeige-
schafften antiken KulturgĂĽter angelandet wurden, sodass sich diese Stadt zu
einem Umschlagplatz fĂĽr klassische AltertĂĽmer entwickeln konnte. Triest
war also ein besonders fruchtbarer Boden fĂĽr die Errichtung von Antiken-
Sammlungen, was sich unter anderem auch darin ausdrĂĽckt, dass derlei
Sammlungen auch heute noch dort bewundert werden können – als Beispiel
sei hier nur die Sammlung der Familie Sartorio genannt.213 Die Sammlung
212 Zum BĂĽrgertum und zu seinen Werten vgl. Manfred Hettling, Stefan-Ludwig Hoff-
mann (Hrsg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts (Göt-
tingen 2000); JĂĽrgen Kocka (Hrsg.), BĂĽrgertum im 19. Jahrhundert. Deutschland im
europäischen Vergleich. Unter Mitarbeit von Ute Frevert, 3 Bde. (München 1988).
213 Vgl. Laura Oretti (Hrsg.), I Sartorio. L’arte del dono (Triest 1999); Lorenza Resciniti,
Il Civico Museo Sartorio di Trieste (Triest ²1999). Beide Publikationen informieren über
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832