Page - 168 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
Image of the Page - 168 -
Text of the Page - 168 -
168
verlassen werden, da die Reiseroute nun über den Tagliamento hinweg und
über Pordenone, Sacile und Conegliano nach Céneda und Serravalle führte,
allwo die Berge beginnen. Auf heutigen Karten wird man die beiden letztge-
nannten Orte, Céneda und Serravalle, meist vergeblich suchen, da sie im
Jahr 1866 zu einer Stadt zusammengefasst und zu Ehren des italienischen
Königs Vittorio Emanuele II. in Vittorio Veneto umbenannt wurden. Die
kaiserliche Reisegesellschaft besuchte das in der Nähe von Céneda liegende
Dorf Campo Formio, das nur aus einem Schloss, einer Kirche und wenigen
Häusern bestand, aber durch den dort am 17. Oktober 1797 zwischen Öster-
reich und Frankreich geschlossenen Frieden umso größere Berühmtheit er-
langt hatte. Kaiser Franz I. dachte dort gewiss an die schweren, aber letzt-
endlich glücklich überstandenen Zeiten der Französischen Revolution, der
Koalitionskriege und der Napoleonischen Hegemonie zurück. Gerade Cam-
po Formio aber mochte in ihm zwiespältige Gefühle erwecken, hatte er doch
in den dortigen Friedensverhandlungen versucht, für die habsburgischen
Lande das Beste herauszuholen, dem Heiligen Römischen Reich aber, des-
sen Oberhaupt er als Franz II. ja gewesen war, nicht unbedingt den besten
Dienst erwiesen: „Ein Geheimartikel des im Oktober 1797 zu Campo For-
mio ausgehandelten Friedens sah die Abtretung des Rheinlandes gegen ‚an-
gemessene Entschädigungen‘ vor, ein Verzicht, der nur, um preußische Ent-
schädigungsansprüche zu durchkreuzen, auf die Pfalz und den Mittelrhein
beschränkt wurde. Damit hatte der Kaiser selbst den Grundsatz der Reichsin-
tegrität zugunsten der habsburgischen Hausinteressen aufgegeben.“220 Dafür
aber hatte der Kaiser, der offenbar zu dem Schluss gekommen war, dass mit
dem alten Reich kein Staat zu machen war, bei diesen Friedensverhandlun-
gen für Österreich die Herrschaft über Venetien ausgehandelt, die es zwar
bald wieder verlieren, am Wiener Kongress jedoch wieder zurückgewinnen
sollte. Die norditalienischen Landstriche, die der Kaiser nun durchreiste,
standen also noch keine zwanzig Jahre durchgehend unter österreichischer
Flagge, und allzu tiefe Wurzeln sollte die Treue der Norditaliener zum Haus
Habsburg auch nie schlagen.221 Metternich und der Kaiser aber taten ihr
Möglichstes, um Norditalien fest im Griff zu behalten, und Venetien sollte
immerhin bis 1866 (unglückseliges Königgrätz!) österreichisch bleiben.
220 Fehrenbach, Vom Ancien Régime zum Wiener Kongreß, S. 68.
221 Dies sei gesagt, obwohl mir, als ich 2001 in einem kleinen Gemischtwarenhandel in
Castelfranco Radieschensamen kaufte, der Ladeninhaber sagte, die glücklichste Zeit für
Venetien sei die österreichische gewesen. Es dürfte sich dabei um keine mehrheitsfähige
Meinung handeln, und der Mann hat diese Zeit ja auch gar nicht erlebt.
back to the
book Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832"
Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832