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ihres Charakters verantwortlich, sondern die Armut und die kÀrglichen Le-
bensbedingungen, die den Mangel an Moral ja erst verursachten. Raimann
war, modern gesprochen, eher der Auffassung, dass die Kultur den Men-
schen mache, und Kultur könne man sich erwerben, er glaubte an den mora-
lischen und kulturellen Fortschritt; damit waren biologistisch-
deterministische Auffassungen, denen zufolge der Mensch mit einer be-
stimmten Veranlagung geboren sei und dieser Veranlagung auch nicht durch
Bildung und Erziehung entkommen könne, nicht vereinbar. Gerade ein Viel-
völkerstaat wie das alte Ăsterreich war auf eine humane, möglichst vorur-
teilsfreie Betrachtungsweise kultureller Unterschiede und ânationalerâ Diffe-
renzen angewiesen, sollte das Staatswesen funktionieren.230 In diesem Kon-
text konnten die Ethnographie und Ethnologie eine Chance sein, mit ihren
vergleichenden und die SelbstverstÀndlichkeit vertrauter Lebenswelten in
Frage stellenden Denkweisen die in den âVölkertafelnâ festgehaltenen Topoi
zu ĂŒberwinden. Dass die Ethnologie gerade in Ăsterreich so fruchtbaren
Boden fand, ist wohl kaum ein Zufall â der bisweilen enge Kontakt mit an-
deren und doch in einem gemeinsamen Staatswesen miteinander verbunde-
nen Kulturen bot auch der Wissenschaft zahlreiche Anregungen.231 In der
zweiten HĂ€lfte des 19. und erst recht dann im 20. Jahrhundert sollten aber
zunehmend jene sozialdarwinistisch inspirierten Denkströmungen an Boden
gewinnen, die von einer ânaturgegebenenâ, unabĂ€nderlichen Veranlagung der
Völker ausgingen, wobei manche Völker als zur Herrschaft ĂŒber andere be-
stimmt erachtet wurden. Die zunehmende Steigerung und Ăbersteigerung
solcher deterministisch-biologistischer Denkweisen geradezu quasireligiösen
Charakters mĂŒndete in NationalitĂ€tenkonflikte und Weltkriege, und schluss-
endlich in Rassenhass und Völkermord. FĂŒr Raimann aber hatten Kultur,
Bildung und Erziehung Vorrang vor der âbiologischen Grundausstattungâ,
230 Zum staatlichen SelbstverstĂ€ndnis des alten Ăsterreich vgl. Ernst BruckmĂŒller, Nation
Ăsterreich. Kulturelles BewuĂtsein und gesellschaftlich-politische Prozesse (Wien u.a.
ÂČ1996), v.a. S. 200-236; Richard G. Plaschka, Gerald Stourzh, Jan Paul Niederkorn
(Hrsg.), Was heiĂt Ăsterreich? Inhalt und Umfang des Ăsterreichbegriffs vom 10. Jahr-
hundert bis heute (Wien 1995).
231 Vgl. hierzu Britta Rupp-Eisenreich, Justin Stagl (Hrsg.), Kulturwissenschaft im Viel-
völkerstaat. Zur Geschichte der Ethnologie und verwandter Gebiete in Ăsterreich, ca.
1780-1918 (Wien u.a. 1995); einen guten Ăberblick ĂŒber die hier angesprochenen Prob-
lemfelder und ihre ZusammenhÀnge mit dem Thema FortschrittsglÀubigkeit bietet: Bernd
Weiler, Die Ordnung des Fortschritts. Zum Aufstieg und Fall der Fortschrittsidee in der
âjungenâ Anthropologie (Bielefeld 2006).
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Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
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