Page - 174 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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Hirnschalen zu vermessen und die knöchernen Höcker auf Schädeldecken
abzutasten, um hernach ein letztgültiges Urteil über den Charakter des Un-
tersuchten zu fällen. Aus Raimanns Reiseaufzeichnungen eine Neigung zur
Physiognomik herauslesen zu wollen, wäre trotz seiner Erwähnung der
„Verstand andeutenden Gesichtsbildung“ wohl übertrieben.
Raimann erwähnt derlei quasiphysiognomisch klingende Details auch nur
ganz knapp am Rande; viel eingehender schildert er kulturelle Eigenheiten
der bereisten Länder und Städte, auch und vor allem Elemente der Volks-
und der Alltagskultur. So berichtet er von den runden Stroh- und Filzhüten,
die die „gemeinen Weibspersonen“ in Belluno trugen und die sie „beym
Grüßen, wie sonst nur die Männer, abnehmen“, und von den Holzschuhen,
mit denen die Einwohner von Belluno herumliefen und die „ein ganz unan-
genehmes Klappern, besonders auf Pflastersteinen“ verursachten. Auch in
die Kochtöpfe der Bürger von Belluno warf er einen Blick: Ein Lieblingsge-
richt war, so stellte er fest, die Polenta, die „aus Sorgo, einer Art Hirse“ zu-
bereitet wurde. (Heute macht man die Polenta aus Mais.) Dazu wurde Käse
gegessen, und nur die Wohlhabenden konnten sich Fleisch oder Salami als
Verfeinerung leisten. Raimann beschreibt dann noch Einzelheiten der
Wohnkultur, wie Wohnzimmer, Fußböden und Kamine, und er hatte offen-
sichtlich ein Faible für mechanische Vorrichtungen: Recht ausführlich be-
schreibt er einen Mechanismus, der zum Offenhalten der Fenster diente, und
noch mehr schien ihn ein Mechanismus zu faszinieren, der es gestattete, vom
Bett aus die Tür, die ins Zimmer des Bedienten führte, zu ver- und zu entrie-
geln. Von beiden Vorrichtungen fertigte er auch Skizzen an – eine Ehre, die
sonst nur noch dem Gefängnis von Rovigno widerfuhr, dessen Grundriss er
ebenfalls zeichnerisch festgehalten hat. Die Betten übrigens waren „überall
nicht nur außerordentlich breit, sondern auch so hoch, dass man auf einen
Sessel steigen muß, um in selbe zu gelangen.“ In aller Kürze gewährt uns
Raimann einen Einblick in die Lebensweise der Bürger von Belluno in der
ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts; was seinem Bericht an Ausführlichkeit
fehlt, macht er durch Prägnanz und überraschende Details wieder wett.
Freilich wäre Raimann nicht Raimann, wenn er nicht auch in Belluno das
Krankenhaus inspiziert hätte. Er fand es „nach italienischer Art geschmack-
voll und nur für warme Witterung gebaut“ (letzteres überrascht, denn
schließlich liegt Belluno ja in den Bergen). Wechselfieber, Krätze und Skor-
but waren die hauptsächlichen Krankheiten, und auch einen Scherlievo-
Kranken konnte Raimann beobachten. Aber auch eine ihm bislang nicht
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Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832