Page - 177 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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bekannte Krankheit kam Raimann im Krankenhaus von Belluno erstmals
unter: „Besonders merkwürdig und mir neu war die Pellagra, welche ich hier
an mehreren Individuen in verschiedenen Graden und Stadien zu sehen die
Gelegenheit hatte.“ Was genau diese Pellagra sei, wusste man damals noch
nicht; Raimann beschrieb die Symptome: grau-gelbliche Hautfarbe, blasse
Lippen, welke Haut, schwammiges Zahnfleisch, Anschwellungen von Milz
und Leber, aufgetriebener Bauch und Anlage zum Skorbut; weiters ver-
trocknete und eingerissene Haut, und in psychischer Hinsicht Delirien, Me-
lancholie und Neigung zum Selbstmord. Raimann hat die Symptome der
Pellagra gut beschrieben; Juckreiz, Entzündung der Schleimhäute und des
Verdauungstraktes, schmerzhafte Verdickung der Haut und Schäden im
Zentralnervensystem, also ein organisches Psychosyndrom, oder kurz zu-
sammengefasst: Durchfall, Dermatitis und Demenz (die drei D), so werden
heute die Symptome benannt. Mittlerweile weiĂź man dass ein Vitamin B3-
Mangel, also ein Mangel an Niacin oder Nikotinsäure, die Erkrankung ver-
ursacht – ein solcher Mangel entsteht, wenn die Nahrung hauptsächlich aus
Mais oder aus Sorghum-Hirse besteht, da die in diesen Nahrungsmitteln
enthaltene Form des Niacins vom menschlichen Körper nicht verwertet wer-
den kann. UnwillkĂĽrlich muss man hier an Raimanns Schilderung der Ess-
gewohnheiten der BĂĽrger von Belluno denken: Polenta war ihre Lieblings-
speise, und nur die Reichen konnten sich Fleisch dazu leisten. Die Armen
aßen Käse dazu, und die ganz Armen hatten meistens wohl gar keine Zukost
und aĂźen die Polenta pur. Und aus was wurde die Polenta gemacht? Aus
„Sorgo, einer Art Hirse“ – Sorghum-Hirse also! (Auch wenn man Mais ver-
wendet haben sollte, das Ergebnis wäre dasselbe gewesen.) Ohne es selbst zu
wissen, hat uns Raimann die Ursache der Pellagra mitgeteilt. Diese Krank-
heit kann nur durch die Gabe von niacinhältigen Lebensmitteln geheilt wer-
den – auch das war den Ärzten damals nicht bekannt.235 Aber Raimann
konnte es nicht besser wissen, und unser heutiges Wissen kann den Kranken
von damals nicht helfen. Mit der Beschreibung des Krankenhauses und der
Krankheiten, die dort behandelt wurden, endet Raimanns Beschreibung Bel-
lunos und seiner Bewohner.
235 Zur Pellagra vgl. Norbert Boss (Bearb.), Roche Lexikon Medizin (MĂĽnchen u.a.
Âł1993), s.v. Pellagra, S. 1275; vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Pellagra;
http://www.aok.de/bund/rd/90075.htm; eingesehen am 19. März 2008.
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832