Page - 199 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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lich-exakten Denken verschrieben hatte, sodass er jedenfalls noch eher
ganzheitlich orientiert war als die nach ihm wirkenden Mediziner.263 Daher
war ihm Paracelsus wohl auch nicht bloĂź ein spintisierender Quacksalber,
der, ähnlich wie die Alternativmediziner späterer Zeiten, mit Hilfe von Geis-
tern und Sternen Krankheiten zu kurieren suchte, er war ihm aber wohl auch
kein wirklich vernünftig zu nennender Arzt. In gewisser Weise aber gehörten
Raimann und Paracelsus – trotz aller sie trennenden Unterschiede – einer
gemeinsamen medizinhistorischen Epoche an, die nicht mehr dem Glauben
an die immateriell-geistige Grundlage von Krankheiten und ihrer Heilung
allein, aber auch noch nicht der streng materialistisch-kausalistischen Denk-
weise exakter Naturwissenschaftlichkeit verpflichtet war. Am Anfang dieser
sozusagen halbwissenschaftlichen Epoche der Medizin stand der Arzt, As-
trologe und Alchemist Paracelsus, an ihrem Ende der kaiserliche Leibarzt
und Präses der medizinischen Fakultät zu Wien, Johann Nepomuk Raimann.
Derlei Gedanken an eine medizingeschichtliche Klassifizierung scheinen
Raimann am Grabdenkmal des Paracelsus nicht bewegt zu haben; sein Be-
richt über den Besuch des Grabes fällt recht knapp aus. Im Zuge der Inspek-
tion des Stadt-Bruderhauses, das bei der Sebastianskirche lag, wurden ihm
„das Grabmahl des Theophrastus Paracelsus in einer Seiten-Kapelle der Kir-
che, sein Schedel, Unterkiefer, die Beckenknochen, ein Lendenwirbelbein
etc der Größe nach wie jene eines 12-14jährigen Knaben, gezeigt“. Paracel-
sus muss demnach sehr klein und zierlich gewesen sein.264 Das Grabmal des
Paracelsus besteht ĂĽbrigens aus einem marmornen Obelisken, der auf einem
mächtigen Sockel ruht. Die Inschrift am Sockel bescheinigt ihm, Krankhei-
ten wie Lepra oder Podagra (also die Gicht im GroĂźzehengrundgelenk) ge-
heilt zu haben. Auch heute noch kann jeder Interessierte das Paracelsusgrab
am Sebastiansfriedhof zu Salzburg, wo ĂĽbrigens auch Mozarts Vater und
Witwe begraben liegen, aufsuchen. Auch fĂĽr nicht mystisch und ganzheitlich
veranlagte Geister kann die Beschäftigung mit dem Leben und Werk des
263 Zur Bedeutung des ganzheitlichen Denkens in der europäischen Geistesgeschichte
vgl. Karen Gloy, Das Verständnis der Natur, 2 Bde., Bd. 2: Die Geschichte des ganzheit-
lichen Denkens (MĂĽnchen 1996).
264 Aus seinem Körperbau und Charakter wird bisweilen geschlossen, dass Paracelsus in
Wirklichkeit weiblichen Geschlechts gewesen sei; auf derlei Theorien wollen wir hier
aber nicht weiter eingehen.
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Des Kaisers Leibarzt auf Reisen
Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832