Page - 208 - in Des Kaisers Leibarzt auf Reisen - Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832
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deeisenbahn Linz-Budweis wohl nicht eröffnet. Franz I. aber war, wie sein
Leibarzt auch, vormodernen Werten und Sichtweisen verpflichtet, und so
konnte er vom demokratischen Gespenst, das mit der Eisenbahn gleichsam
als blinder Passagier mitfuhr, nichts ahnen. Franz I. eröffnete die Eisenbahn
– und reiste mit der Kutsche weiter.
Bevor es aber weiter ging, hatte Raimann auch in Linz noch sein ĂĽbliches
Programm zu absolvieren: Krankenhäuser und Irren-, Gebär- und Findel-
anstalten wurden inspiziert – Ende Juni mussten 1797 extern versorgte Fin-
delkinder verzeichnet werden, beileibe keine geringe Zahl, und die Räume,
in denen die Geisteskranken untergebracht waren, waren „eng, niedrig, düs-
ter, wahre Kerker“. Für den Fall, dass die Cholera auch nach Linz gelangen
sollte, war in Linz „ein Lazareth für etwaige Cholerakranke“ eingerichtet
worden. Auch eine Taubstummen-Lehranstalt gab es in Linz; ob sie ähnlich
fortschrittlich gefĂĽhrt wurde wie jene, die er in Brixen besucht hatte, berich-
tet Raimann nicht; jedenfalls durften die taubstummen Zöglinge in Linz bei
Privatleuten wohnen und mussten nur zum Unterricht in der Anstalt erschei-
nen. Und zu guter letzt war in Linz auch noch das Gefängnis zu besichtigen,
das in dem ehemaligen kaiserlichen Schloss auf dem eine schöne Aussicht
bietenden Schlossberg untergebracht war. Raimann stellte missbilligend fest,
dass die Sträflinge hier in schönen Räumen, „die wirklich Säle zu nennen
sind“, untergebracht waren, dass sie aber kaum zu Arbeiten herangezogen
wurden. Er konstatierte, dass im Linzer Strafhaus „nichts fabrizirt“ wurde
und dass die Insassen höchstens zum „Kränzen, Spinnen und Spulen von
Baumwolle und Schafwolle“ herangezogen wurden, wofür sie auch noch
ordentlich bezahlt wurden. FĂĽr solch einen laxen Umgang mit Kriminellen
hatte Raimann kein Verständnis, war es doch, wie er meinte, in Bezug auf
die Resozialisierung kontraproduktiv: „Schade, daß das wahrhaft kaiserlich
gebaute und sehr schöne Schloß für diesen Zweck bestimmt worden ist, be-
sonders da Besserung der dortigen Sträflinge aus mißverstandener, übertrie-
bener Humanität, zufolge mehrseitiger Versicherung, nicht erzielt werden, u
viele kaum entlassene Sträflinge bald neuer Vergehen wegen wieder dahin
verurtheilt werden sollen.“285 Raimann teilt weiters mit, dass ein Teil des
Schlosses als Choleraspital eingerichtet war, und dass „ein nicht unbedeu-
285 Zum Linzer Strafhaus vgl. Alfred Stefan Weiß, „Howards Ideal ist kein schöner
Traum mehr…“. Das Linzer Zucht- und Strafhaus 1777-1851, in: Gerhard Ammerer,
Alfred Stefan WeiĂź (Hrsg.), Strafe, Disziplin und Besserung. Ă–sterreichische Zucht- und
Arbeitshäuser von 1750 bis 1850 (Frankfurt/Main u.a. 2006), S. 225-243.
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Johann Nepomuk Raimanns Reise mit Kaiser Franz I. im Jahre 1832