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Europas Kunstmuseen sind, niemand wird es leugnen wollen, in starkem Wandel begrif-
fen. Indem sich der Staat als Geldgeber zunehmend zurückzieht, entsteht seitens der Mu-
seen die Notwendigkeit, alte Ressourcen intensiver als bislang zu bewirtschaften und neu-
artige Geldquellen zu ‚erschließen‘. Zahlreiche Museumsleute sehen sich gezwungen, an
einem enorm beschleunigten Ausstellungsbetrieb teilzunehmen. Und während „Meilen
über uns Flugzeuge beladen mit Tizians und Poussins, van Dycks und Goyas durch die
Lüfte jagen“ (Francis Haskell),1 ist die museumsinterne wissenschaftliche Erforschung der
Sammlungen zum Teil nur noch möglich, wo eine zusätzliche Unterstützung durch öffent-
liche und private Einrichtungen der Forschungsförderung gewonnen werden kann. Zeit-
gleich mit diesem ebenso offenkundigen wie konfliktträchtigen Umbruch ist die Geschich-
te des „modernen“, öffentlichen Kunstmuseums zu einem zentralen Gegenstand kultur-
wissenschaftlicher Forschung geworden. Hegels Diktum, wonach die Eule der Minerva
ihren Flug erst mit der einbrechenden Dämmerung beginnt,2 scheint sich ein weiteres Mal
zu bestätigen. Solange sich das Kunstmuseum als Institution bürgerlicher Öffentlichkeit
eine gewisse Selbstverständlichkeit bewahrt hatte, haben sich nur wenige Forscher mit sei-
ner Geschichte befasst. Erst jetzt, wo es sich anschickt, definitiv etwas Anderes zu werden,
gibt es ein breites wissenschaftliches Interesse an jenen komplexen Vorgängen, die in der
Zeit um 1800 zur Herausbildung öffentlicher Museen von der Art des Louvre, der Uffizien
oder des Kunsthistorischen Museums geführt haben.
Wenn in diesem Zusammenhang gerade der Genese des Kunsthistorischen Museums
viel Aufmerksamkeit entgegen gebracht wird, so hat dies nachvollziehbare historische
Gründe. Bereits 1776 wurde die kaiserliche Gemäldegalerie aus einem Gebäude des Wie-
ner Hofburg-Komplexes ins damals vorstädtische Schloss Belvedere übersiedelt und bald
darauf einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Neuaufstellung der Bilder-
sammlung, die in den Jahren um 1780 vom Basler Kupferstecher, Verleger und Kunsthänd-
ler Christian von Mechel (1737−1817) geleitet wurde, folgte erstmals kunsthistorischen
Prinzipien: Gemälde, die derselben ‚Schule‘ der Malerei angehörten, sollten in der Präsen-
tation auch räumlich benachbart sein, Gemälde aus anderen Schulen in anderen Räumen
präsentiert werden. Die als ‚venezianisch‘, ‚florentinisch‘‚ ‚niederländisch‘ oder ‚älteste
teutsche‘ klassifizierten Bilder wurden also in je verschiedenen Räumen des Schlosses auf-
gestellt, und zwar so, dass die Besucher der Galerie (vor allem im oberen Stockwerk der
Sammlung) innerhalb der einzelnen Schulzusammenhänge eine „Stuffenfolge“, d.h. eine
historische Entwicklung der Malerei, nachvollziehen konnten. Auf diese Weise wurde die
Hängung der Gemälde zu einem manifesten Klassifikationssystem, das Museum zu einer,
wie Mechel es prägnant ausdrückte, „sichtbare[n] Geschichte der Kunst“.3 Der Bruch mit
früheren Gewohnheiten der Sammlungspräsentation war so eklatant wie programma-
Gudrun Swoboda
Einleitung
Abb. 1
Fächer von Ferdinand Storffer
(1694–1771), um 1740,
Gouache auf Pergament,
Innenseite. Wien, MAK
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur