Page - 12 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
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12 tisch. In einem den Mechelschen Neuerungen aufgeschlossenen sozialen Milieu wäre der
reizvolle Damenfächer (Abb. 1),4 den der in kaiserlichen Diensten stehende Miniaturmaler
und Vergolder Ferdinand Storffer etwa vierzig Jahre zuvor bemalt hatte, vermutlich als Ge-
schmacklosigkeit verurteilt worden. Der Fächer gehört einer Epoche an, als sich die kaiser-
liche Gemäldesammlung in der Wiener Stallburg präsentierte – in einer aufwändigen
barocken Aufstellung, die mindestens so sehr von Herrschertugenden und dynastischen
Traditionen kündete wie vom Ruhm der Kunst (Abb. 2, 3).5 Storffer kannte die kaiserliche
Galerie wie kein anderer: In einem kostbaren, für die Augen Kaiser Karls VI. bestimmten
Inventar hat er sie so getreulich porträtiert, dass man nicht leicht eine andere barocke
Galerie finden wird, über deren ehemaliges Aussehen wir so gut unterrichtet sind. Deshalb
war der Miniaturmaler auch in der Lage, einen Damenfächer mit einem Bild aus Bildern
oder hyperimage (Thürlemann) zu schmücken, das – ohne auf didaktische Prinzipien Rück-
sicht zu nehmen – Stücke der kaiserlichen Galerie in einer von ihm selbst erfundenen
Anordnung versammelt. Bei der Illustration des Fächers mag der Gedanke im Spiel gewe-
sen sein, dass er, Storffer, einen privilegierten Zugang zu Dingen hatte, die nicht jeder be-
trachten, geschweige denn in eine neue Ordnung überführen durfte. Schließlich war die
Galerie in der Stallburg mitsamt ihrer Einrichtung und Anordnung Teil eines höfischen
Repräsentationssystems, der Zugang zu den Gemälden nur beschränkt möglich, ihre Be-
urteilung das Privileg weniger Kenner; und schließlich bestand die Funktion eines Damen-
fächers nicht zuletzt darin, Sichtbarkeitsverhältnisse zu regulieren und intime Andeutun-
gen zu machen. Mechels spätere Erfindung einer „sichtbaren Geschichte der Kunst“ wird
sich von dieser eingeschränkten Sichtbarkeit distanzieren und den Blick des Kaisers, Ken-
ners oder Liebhabers durch ein – wie man meinte: allen scheinendes – Licht der Aufklä-
rung ersetzen. Die Geschichte der Kunst war jetzt sichtbar, weil sie, wenigstens der Idee
nach, allen zugänglich gemacht worden war. Und sie war eine sichtbare Geschichte, weil
die Gemälde nach kunsthistorischen Prinzipien gehängt worden waren, über die ein ge-
druckter Sammlungskatalog schwarz auf weiß Auskunft gab. Funktion und Charakter der
Galerie hatten sich verwandelt: Aus einem Ort der Repräsentation war eine Bildungsstätte
geworden. Dieser Funktionswandel ging mit präsentationstechnischen Neuerungen wie
der einheitlichen Rahmung und Beschriftung der Gemälde einher.
Darüber, wie revolutionär Mechels Neuordnung der kaiserlichen Gemäldesammlung
im Jahr 1781 tatsächlich war, gehen die Meinungen in der Fachliteratur auseinander. Den-
noch überrascht es nicht, dass Mechels Einleitung („Vorbericht“) zu dem von ihm publi-
zierten Wiener Sammlungskatalog in eine kürzlich erschienene Anthologie von Quellen-
texten zur jüngeren Museumsgeschichte an gewichtiger, nämlich allererster Stelle aufge-
nommen wurde.6 Denn die historische Bedeutung des von Mechel in Wien prominent
umgesetzten Prinzips steht außer Frage: Der Gedanke, einer bürgerlichen Öffentlichkeit
die Geschichte der Kunst mittels einer nach entwicklungsgeschichtlichen Gesichtspunkten
angeordneten Gemäldesammlung vor Augen zu führen, setzte sich bald auch an anderen
Orten durch, ja er war bahnbrechend für die weitere Museumsgeschichte.7 Seine höchste,
nämlich geschichtsphilosophische Bestimmung sollte er an einem späteren Wirkungsort
Christian von Mechels, jedoch ohne dessen Zutun erhalten. Wir sprechen von Berlin und
von einer Zeit, als der bereits zitierte Georg Wilhelm Friedrich Hegel in dieser Stadt Philo-
sophie lehrte. Schon in der 1807 publizierten Phänomenologie des Geistes hatte der Philo-
soph die Geschichte als „Aufeinanderfolge von Geistern“ beschrieben und diese Stufenfol-
ge mit einer „Galerie von Bildern“ verglichen.8 Ob er, wie wir vermuten, schon damals an
eine historisch geordnete Gemäldegalerie dachte oder doch eher an eine Ahnengalerie
(oder an beides), ist nicht leicht zu entscheiden. Später, in einem 1829 in Berlin gehalte-
nen Vortrag, brachte Hegel die Institution der Galerie ein weiteres Mal zur Sprache. Er be-
trachtete sie jetzt nicht mehr als geschichtsphilosophische Metapher, sondern als reale
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur