Page - 30 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
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Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
späteren Identifizierung zu nummerieren und mit den notwendigen Angaben zu Sujet (Hi-
storie, Fabel, Allegorie), mit den Maßen sowie – soweit gesichert – mit ihrem Künstler-
namen zu verzeichnen.25 Auch sollten die Gemälde als Zeichen ihrer Authentizität mit dem
kaiserlichen Siegel versehen und die Richtigkeit des Inventars mit der Unterschrift des Kai-
sers autorisiert werden.
Darüber hinaus galt es jedoch, an die künstlerische Qualität der Gemälde strengere
Maßstäbe zu legen und ihren Wert an der der Galerie zugrundeliegenden Ordnung zu be-
stimmen. Konsequenterweise musste das auch zur Aussonderung einzelner, dieser An-
schauung nicht genügender Bilder führen. Dementsprechend wurde in Punkt vier des Pro-
gramms dezidiert gefordert, dass ausgewiesene Experten („professori“) feststellen sollten,
welche Gemälde in der kaiserlichen Galerie unverzichtbar und welche als entbehrlich an-
zusehen sind.26
Auch die Forderung nach der Restaurierung schadhafter Bilder, die auf grundlegender
Kenntnis der Manier nicht nur der besten, sondern auch der mittelmäßigen Künstler basie-
ren müsste, war darauf ausgerichtet, der kaiserlichen Galerie weitere relevante Gemälde
einfügen zu können.27 Es galt, im riesigen Bestand all jene Gemälde ausfindig zu machen,
die dem Anspruch der kaiserlichen Galerie genügen würden. Mit einer gründlichen Re-
vision aller kaiserlichen Gemälde müsste es auch gelingen, das eine oder andere verloren
geglaubte, aber qualitativ hochrangige Gemälde wieder aufzufinden.28 Vor allem die künst-
lerische Qualitätssteigerung der ans Licht zu bringenden Sammlung29 war ein Grund, dass
das Programm zur Reorganisation der kaiserlichen Gemäldegalerie von 1765 über die Aufrich-
tung eines Inventars die Sichtung aller kaiserlichen Gemälde forderte.
Daneben versprach die Herstellung, Organisation und Nutzung eines Inventars einen
zunehmend rationalen und wissenschaftlichen Umgang mit den Gemälden, der sowohl
kunsttheoretisches Wissen als auch restauratorische Fähigkeiten erfordert. Die letzte Forde-
rung nach einer Neustrukturierung der Administration, das heißt einer effizienteren perso-
nellen Zusammensetzung in der Organisation der Galerie, war genau auf diese Zielsetzung
zugeschnitten. Es wären zur Verwaltung der Sammlung die Posten eines Direktors, eines In-
spektors, eines Schreibers und zweier Galeriediener zu besetzen, die dem Oberstkämmerer-
amt zu unterstellen seien, wobei die Verantwortung für jedes einzelne – auch schlechtere –
Gemälde beim Direktor läge. Mit der Bemerkung, dass es zwar viele gebe, die sich in die
Restaurierung eines Gemälde einmischen würden, aber nur wenige, die die erforderlichen
Kenntnisse hätten, verweist der Autor auf eine der zentralen Tätigkeiten des Galeriedirek-
tors und die damit verbundenen Fähigkeiten: auf die Restaurierung der Gemälde, die auf
grundlegendem kennerschaftlichen Wissen basieren müsse.30
Wer dieses Konzept von 1765, das in italienischer Sprache abgefasst wurde, ausgearbei-
tet hat, ist ungewiss. Wahrscheinlich knüpft es an die Pläne Großherzog Pietro Leopoldos,
des Bruders von Kaiser Joseph II., für die Uffizien an, der in den ersten Jahren seiner Herr-
schaft die Verwaltungsstrukturen in allen Institutionen des Großherzogtums Florenz straffer
und effizienter zu gestalten versuchte. Ein Wissens- und Erfahrungsaustausch zwischen den
einzelnen Mitgliedern der weit verzweigten habsburgischen Familie war üblich und löste in
den kulturellen und wissenschaftlichen Einrichtungen der verschiedenen Herrschaftsgebie-
te oftmals Prozesse aus, die parallel verliefen. Für einen engen Zusammenhang des Pro-
gramms von 1765 mit den Florentiner Initiativen spricht auch, dass sich die grundlegende
Bestrebung, durch umfangreiche Bildrochaden die qualitätvollsten Gemälde in der Haupt-
galerie zu vereinen, wie dies der zweite Punkt des in Wien hinterlegten Programms fordert,
in einer Florentiner Memoria von 1768 wiederfindet. Darin heißt es, Pietro Leopoldo habe
persönlich angeordnet, dass die besten dieser Gemälde in die Königliche Galerie gebracht
und dort ausgestellt werden, während die zweitklassigen entfernt und in die Villen und Pa-
läste gebracht werden sollen, wo sie die von dort entfernten ersetzen sollen.31
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur