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53 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
Wissensordnung
Die neue Aufstellung der Gemälde betonte in erster Linie kunstwissenschaftliche Aspekte,
deren grundsätzliche Disposition von Mechel folgendermaßen beschrieben wird: „Der
Zweck alles Bestrebens gieng dahin, dieses schöne durch seine zahlreiche Zimmer-Abthei-
lungen dazu völlig geschaffne Gebäude so zu benutzen, daß die Einrichtung im Ganzen,
so wie in den Theilen lehrreich, und so viel möglich, sichtbare Geschichte der Kunst wer-
den möchte. Eine solche grosse öffentliche, mehr zum Unterricht noch, als nur zum vor-
übergehenden Vergnügen, bestimmte Sammlung scheint einer reichen Bibliothek zu glei-
chen, in welcher der Wißbegierige froh ist, Werke aller Arten und aller Zeiten anzutreffen,
nicht das Gefällige und Vollkommene allein, sondern abwechselnde Kontraste, durch
deren Betrachtung und Vergleichung (den einzigen Weg zur Kenntnis zu gelangen) er
Kenner der Kunst werden kann.“122 Dieses Zitat, in der Literatur meist als eigentlicher
Brennpunkt des Mechelschen Programms interpretiert, verknüpft mit dem Vergleich zur
„Bibliothek“ und der „sichtbaren Geschichte der Kunst“ zwei Leitgedanken miteinander:
die klassifikatorische Systematisierung der Gemäldesammlung und deren kunsthistorische
Ausrichtung.123
Grundsätzlich stand die Analogie von Galerie und Bibliothek als Orten der Gelehrsam-
keit und des Erwerbs von Wissen im ausgehenden 18. Jahrhundert in einer lange zurück-
reichenden Tradition. Ähnliche Formulierungen zur Analogie einer Kunstsammlung zu ei-
ner Bibliothek finden sich bereits bei dem als Gründungsvater neuzeitlicher Sammlungs-
theorie geltenden Samuel Quicchelberg in seinem grundlegenden Traktat Inscriptiones vel
Tituli Theatri amplissimi […] von 1565.124 Stephan Brakensiek hat darauf aufmerksam ge-
macht, dass in dieser ältesten bekannten museologischen Schrift die Kupferstichsamm-
lung als „Bildarchiv“ oder „Museum“ bezeichnet wird, das „akkurat wie in einer gesonder-
ten Bibliothek“ zu ordnen sei.125 Dieser Gedanke Quicchelbergs wird von Johann Georg
Sulzer in seiner Allgemeinen Theorie der schönen Künste 1775 aufgenommen und auf die
Ordnung der Galerie bezogen: „Dergleichen Gallerien [in Florenz, Wien, Dresden, Düssel-
dorf und Sans Souci] sind für die zeichnenden Künste, was die öffentlichen Bibliotheken
für die Gelehrsamkeit; Schätze zum öffentlichen Gebrauch der Künstler. Sie müssten des-
wegen den Künstlern und Liebhabern zum Studiren beständig offen stehen. In dieser Ab- Abb. 30
„Zweyte Wand, auf der Seite der zwey
Eckkabinetter“ im vierten Zimmer („Rubens
Saal“) der niederländischen Schule im ersten
Stock des Oberen Belvedere. Digitale
Rekonstruktion nach Mechel 1783
(Rekonstruktion: Autorin)
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur