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55 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
Die Begriffe im erwähnten Schlüsselzitat geben einen Hinweis auf die spezifische Methode
zur Verwissenschaftlichung der Systematik und Präsentation: „Betrachtung“, „Verglei-
chung“ und „Kenner der Kunst“ verweisen auf das tradierte Modell der Kennerschaft, das
sich im 18. Jahrhundert nicht mehr nur in der Analyse der stilistischen Merkmale des einzel-
nen Kunstwerks erschöpfte, sondern sich darüber hinaus an dem in der Theorie über mehr
als ein Jahrhundert lang ausgearbeiteten Modell der Malerschulen orientierte.131 Die Neu-
ordnung der Sammlung durch Mechel erfolgte im Kontext dieses kennerschaftlichen Zu-
gangs, indem die Gemälde konsequent nach Malerschulen und Stilen gehängt wurden. Ge-
genüber den sieben Zimmern mit Gemälden von fünf lokalen italienischen Malerschulen132
präsentierten sich die niederländischen Gemälde „meist grösserer Art und aus der blü-
hendsten Zeit“,133 darüber boten die Altniederländer, die „dem Auge sichtbare Geschichte
der Kunst“ und „Proben des Entstehens, des Wachsthums und der ganzen Entwicklung des
Talents bey den Niederländern“ dar, weil „jedes Zimmer eine auszeichnende Epoche“134
enthielt. Zur deutschen Schule führte Mechel aus: „Hier sind die Beweise was unsere fleißi-
gen unermüdeten Väter in der Kunst gethan haben und einige Proben der Neuern, die auf
Beyfall und Verdienst Anspruch machen.“135 Schon diese Kurzbeschreibung zeigt, dass die
Hängung Mechels nicht einem einzigen Modell folgt, sondern unterschiedliche kunstwis-
senschaftliche Ansätze thematisiert. Die Ordnung lässt jedoch das Bemühen erkennen, die
unterschiedlichen vorformulierten oder vorgebildeten Systematisierungsansätze in Einklang
zu bringen, indem das Modell nach Malerschulen den gemeinsamen Rahmen vorgab.
Das theoretische Fundament zum Modell der Malerschulen hatte die italienische
Kunstliteratur bereits ab dem frühen Seicento geliefert, wobei „Schule“ sowohl den
Zusammenhang zwischen den Meistern und ihren Schülern meinen konnte als auch –
weiter gefasst – die stilistische Verwandtschaft von Kunstwerken einer Region. Die Schul-
systematik war immer eng mit dem Modell der Kennerschaft verschränkt. Dabei wurde in
der Bestimmung des Werkes schrittweise zunächst die Malerschule, dann – falls möglich – Abb. 31
Grundriss des Oberen Belvedere, in: Christian
von Mechel, Verzeichniß der Gemälde der
Kaiserlich Königlichen Bilder Gallerie in
Wien […], Wien 1783, Anhang
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur