Page - 57 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
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57 Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
Stichwerke, das Theatrum Pictorium von David Teniers und das Theatrum artis pictoriae so-
wie den Prodromus von Franz von Stampart und Anton von Prenner an,142 jedoch ist anzu-
nehmen, dass Mechel auch Kenntnis vom Recueil d’estampes hatte und die wissenschaftli-
che Arbeit Mariettes für ihn eine wichtige Bezugsquelle darstellte; er machte während sei-
nes Pariser Aufenthalts 1772 die persönliche Bekanntschaft Mariettes, der ihm bei dieser
Gelegenheit die Stichwerke seines Kabinetts zeigte.143
Im ersten Stock der kaiserlichen Galerie hat Mechel eine Kunstgeschichte nach Maler-
schulen in der Art und Weise, wie sie der Recueil d’estampes vorgebildet hat, visualisiert.
Die Auswahl der italienischen Schulen – venezianische, römische, Florentiner, lombardi-
sche, Bologneser Schule – entsprach genau der projektierten Schuleinteilung Mariettes;
wobei als weiteres Indiz für die Vorbildlichkeit des Recueil d’estampes gewertet werden
kann, dass Mechel entgegen den Konventionen zwischen einer lombardischen und einer
Bologneser Schule unterschied – wenn auch nur in der Theorie. In der praktischen Umset-
zung befanden sich in dem der lombardischen Schule gewidmeten Zimmer Hauptwerke
der Bologneser Schule und umgekehrt – möglicherweise fehlten Mechel hier die entspre-
chenden Kenntnisse.
Es ist ein schlüssiges Argument, dass gerade der Kupferstecher und Verleger Christian
Mechel, der unvermittelt zur Neuordnung einer Gemäldesammlung herangezogen wur-
de, die Galerie gleichsam wie ein graphisches Mappenwerk handhabte und auf Wänden
eine Ordnung wiedergab, die bis dahin in dieser Konsequenz nur in diesen vorkam. Es ist
auch naheliegend, die Transformationsleistung Mechels als logische Konsequenz aus
seiner Beschäftigung mit Graphiken zu sehen, zumal die Betrachtung solcher Reproduk-
tionen auf die kennerschaftliche Beurteilung von Gemälden abzielte. Als Indiz für ihre
Annahme der Vorbildlichkeit graphischer Sammlungen verweist unter anderen Gabriele
Bickendorf auf dieselben Brüche und Inkonsistenzen im Konzept sowohl der Galeriehän-
gung Mechels als auch des Recueil d’estampes, vornehmlich auf die Diskrepanz zwischen
der angestrebten Historizität – bekanntermaßen wollte Mechel eine sichtbare Geschichte
der Kunst darstellen – und der dargebotenen geographischen Aneinanderreihung der
italienischen Malerschulen.144 Der Betrachter bewegt sich im ersten Stock des Belvedere
immer in der sogenannten „blühendsten Zeit“, das heißt derselben Zeitebene des 16. und
17. Jahrhunderts.
Auf Seiten der italienischen Lokalschulen und der niederländischen Schule entwickelte
Mechel die Hängung – wie im Katalog dargelegt – jeweils um einen oder mehrere führende
italienische Meister: das erste Zimmer der venezianischen Schule um Paolo Veronese und
Tintoretto, das zweite um Tizian, das dritte mit römischer Schule um Raffael, das vierte mit
Florentiner Schule um Andrea del Sarto, Michelangelo und Orazio Gentileschi, das fünfte mit
Bologneser Schule um Guido Reni, das sechste mit lombardischer Schule um Correggio
und die Carracci (das siebente Zimmer war nach Schulen gemischt).145 Die nieder-
län dische Schule „aus der blühendsten Zeit“146 wurde – ohne geographische Binnen-
gliederung – um große Künstlerpersönlichkeiten konstruiert: im ersten dieser Zimmer um
Jacob Jordaens, Champaigne, Rembrandt und Hoogstraten, im zweiten um Diepenbeck,
Crayer, Steenwijk und Peeter Neeffs, im dritten um van Dyck, im vierten und fünften um
Rubens, im sechsten um Teniers und David Ryckaert, im siebenten um van Thulden und
um „einige noch lebende niederländische Künstler als Lens, Verhagen, Geerarts und de
Cort“.147
Tizian, Rubens und Van Dyck, von denen die kaiserliche Sammlung überragende Be-
stände besaß, waren wiederum eigene Räume gewidmet. Hier versuchte Mechel in der
Mikrostruktur – analog zum Recueil d’estampes – die Gemälde nicht nur nach Schulen ein-
zuteilen, sondern das Œuvre eines Künstlers in seinem künstlerischen Entwicklungsgang
von den Anfängen als Schüler bis zum reifen Werk als Meister zu zeigen, was, so in der Abb. 32
Kupferstich nach Perugino, Beweinung Christi,
in: Recueil d’estampes […], Bd. 1, Paris 1729
Abb. 33
Kupferstich nach Raffael, La belle jardinière,
in: Recueil d’estampes […], Bd. 1, Paris 1729
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
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- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur