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Fischer
Kunst nach Ordnung, Auswahl und System
von Nicolas Poussin, Gaspard Poussin oder Claude Lorrain zu den musts einer fürstlichen
Sammlung zählten. Von Claude Lourrain besaß die Sammlung kein einziges Werk, von
Gaspard Poussin eine Landschaft mit Wettersturm aus dem Ankauf der Sammlung Nostitz
und von Nicolas Poussin das kleinformatige Gemälde Petrus und Johannes heilen einen
Lahmgeborenen im Tempel,231 das heute Bertholet Flémal zugeschrieben wird. In diesem
Zusammenhang erscheint es umso merkwürdiger, dass das Historiengemälde von Nicolas
Poussin, Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch Titus, unter nicht ganz geklärten Um-
ständen zwischen 1772 und 1783 aus der kaiserlichen in die Sammlung des Staatskanzlers
Kaunitz gelangt war.232 Die räumlich getrennte Schulaufstellung hatte jedenfalls den
Mangel an französischen Meistern überdeutlich gemacht: mit den wenigen französischen
Werken gelang es nicht, eine eigene „Abteilung“ in der Galerie zu bilden. So mussten die
französischen Meister entweder den Niederländern oder – etwa im Fall Poussins – der
römischen Schule zugeordnet werden.
Nominell entsprach die erste Lieferung an Gemälden von Florenz nach Wien den Wün-
schen aus Wien,233 lediglich Werke der beiden Poussins, von Lorrain sowie von Vanni und
Albani wurden aufgrund des fehlenden, geringen oder nicht geeigneten Bestands nicht
geliefert.234 Dennoch wurde die in Wien ankommende Sendung von 14 Bildern von Joseph
Rosa äußerst geringschätzig aufgenommen. Seine Einwände galten nicht der Autoren-
schaft, sondern der Qualität einzelner Gemälde, die „[…] ohne deren Werth zu benennen,
nicht in Hießiger Gallerie konten unter augen gesetzet werden […].“235 Er musste feststel-
len, dass die Florentiner Lieferung zwar der Auflistung entsprach, aber wenige erst klassige
Stücke geliefert wurden. Keines der Gemälde aus erster Lieferung war etwa in der unter
Pietro Leopoldo 1778 zusammengefassten Raccolta di quadri dipinti abgebildet, das in 148
Stichen die aus Medici-Besitz stammenden, renommiertesten Stücke der Uffizien zeigte.236
In Anbetracht des faktisch Gelieferten brachte Rosa daher jene Klausel zur Anwendung,
nach der vereinbart worden war, dass Bilder retourniert werden können, sollten sie nicht
gefallen. Sechs Bilder der ersten Sendung aus Florenz – Fra Bartolomeo (Jesaia), Volterrano
(Hl. Lukas), Cortona (Hl. Martina), Castiglione (zwei Tierbilder), Furini (Hl. Sebastian) – wur-
den von Rosa abgelehnt und umgehend mit der ersten Wiener Sendung retourniert.237
In zweiter Lieferung aus Florenz wurden nur drei der zurückgeschickten Werke durch
Gemälde desselben Meisters ersetzt – Fra Bartolomeo (Darbringung Christi im Tempel), Cor-
tona (Heimkehr der Hagar) und Furini (Büßende Maria Magdalena) –, ansonsten Bilder von
Künstlern geschickt, die auf der Liste nicht erwähnt waren respektive nicht gewünscht
wurden: Perugino, Bilivert, Santi di Tito, Vasari und Passignano.238 Auch wurden zwei wei-
tere Gemälde von Andrea del Sarto überlassen, obwohl das Gemälde aus der ersten Liefe-
rung nicht zurückgeschickt wurde und die Wiener Galerie ohnehin mit Sartos gut ausge-
stattet war. Von der ursprünglichen Idee, die stilistische Entwicklung der Malerschule an-
hand ihrer maßgeblichen Meister zu zeigen, war angesichts des praktisch Möglichen nicht
mehr die Rede, aber auch die Qualität der nicht gewünschten Werke aus zweiter Lieferung
entsprach kaum den Anforderungen. Rosas Kritik daran fiel nicht besser aus als zuvor: „Es
wurden vor diese andere hir her gebracht unter welchen eines von Domenico Basigniano
befand, welches das gastmahl des Königs Ahasvero Vorstelt total Roiniret und Mittelmaßig
vor ein gemäld dieses Meysters da doch die hertzogliche Gallerie entbährende stücke von
ihm besitzet. das zweyte eine Sacra Famiglia von Giorgio Vasari hingemald, und stükweiß
schlecht über malen, vor welches ein anders hette können geschicket werden um so mehr
da die Gemälde dieses Künstlers nicht im grossen ansehen stehen.“239 Dennoch wurde kei-
nes der Gemälde retourniert. Zumindest befanden sich in dieser zweiten Sendung auch
„Zwey wunderschone Bilder gemälde Eines vom Santi di Tito, und das andere vom Andrea
de Sarto“ und „das zweyte wunder schöne bild auch den Engel und Tobias aber mit meh-
reren Figorn von obigen Andrea“.240
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur