Page - 94 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
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Hoppe-Harnoncourt Altdeutsche Malereischule
hergeschafft vom Schlosse Karlstein aus Böhmen, beurkundet aus den Archiven des Lan-
des; und wie die von mehreren Künstlern in Gegenwart des Fürsten von Kaunitz gemach-
ten Proben es zeigten – wie der Augenschein jeden es lehren kann, unwidersprechliche
Anwendung des Oels.“17 Hilchenbach berichtet auch über die Vorgeschichte: Staatskanz-
ler Fürst von Kaunitz-Rietberg sei erst durch Ehemants Publikation von 1779 auf den Fund
aufmerksam geworden, und auf Grund von dessen Recherchen sei der inschriftlich ge-
nannte Maler Mutina als Böhme identifiziert worden.18 Diese Informationen greift Mechel
in seinem später verfassten Katalog auf. Seine rätselhaft frühe Datierung auf 1297 scheint
ebenfalls auf Ehemant zurückzugehen, wie aus Josef Dobrowskys 1783 verfasstem Beitrag
hervorgeht: „Es sind aber in der Beschreibung des Hrn. von Mechel, die er nach des sel.
Prof. Ehemant Briefen gemacht hat, folgende Umstände zu berichtigen. […] Der Meister
hieß also Thomas und war von Mutina. Mutina ist doch nichts anderes als Modena, folg-
lich war der Meister kein Böhme. […] Dieses Altarblatt, sagt Hr. von Mechel, ist das älte ste
von allen bisher bekannten Gemälden in Oel und rühret vom Jahre 1297 her. Woher will
man dies wissen? Den sel. Prof. Ehemant, wie ich es aus seinem Munde hörte, brachte die
Aehnlichkeit des Marienbildes zu Königsaal, welches der Stifter König Wenzel der II. im
J. 1292 dahin verehrt haben soll, mit demjenigen des Thomas von Mutina, auf diese Ver-
muthung.“19
„Thomas von Mutina“ im Spiegel der frühen Kunsthistoriographie
Die Rezension Dobrowskys zu Mechels Katalog ist nicht nur hinsichtlich der Begründung
der frühen Datierung interessant: Bemerkenswerterweise macht der Autor bereits unmit-
telbar nach Erscheinen der deutschen Ausgabe darauf aufmerksam, dass „Thomas von
Mutina“ kein Böhme, sondern Italiener war und „Mutina“ als „Modena“ zu übersetzen
sei. Ein Blick auf nachfolgende Publikationen zeigt, dass Mechels Beitrag viele weitere
kontroverse Reaktionen auslöste. So ordnete Luigi Lanzi in seiner Storia pittorica della Ita-
lia, deren erster Teil 1792 erschien, das Gemälde der Modeneser Schule zu.20 Im Wider-
spruch zu Mechel berichtet er von Proben an den Gemälden, die erwiesen hätten, dass
keine Spur von Öl vorhanden sei.21 Ein weiterer Autor, Domenico Maria Federici, nahm
1803 zu Mechels Katalog Stellung. Er zitiert Giuseppe Garampi, der von 1776 bis 1785
apostolischer Nuntius in Wien war und als Zeitzeuge über die Ereignisse berichtete: Die
Bilder seien nach den chemischen Analysen, die ergaben, dass sie in Öl gemalt seien, zu
Mechel, der gerade die Gemäldegalerie einrichtete, nach Wien gebracht worden. Garam-
pi habe sich damals empört, dass Tommasos Werk an die Spitze der deutschen Schule ge-
setzt worden sei. Mechel habe aber behauptet, dass nicht Modena, sondern „Mauthen“
der Heimatort sei. Als Garampi nach archivalischen Untersuchungen festgestellt habe,
dass „Mauthen“ niemals „Mutina“ genannt worden war, sei ihm mitgeteilt worden, es
handle sich nicht um „Mauthen“, sondern um „Muttensdorf“.22 So verwendete Federici
Garampis Aussage als eines mehrerer angeführter Argumente, die Tommasos Identität als
Italiener letztlich klärten. Bezüglich der erstmaligen Anwendung der Ölmalerei gab Fede-
rici – im Gegensatz zu Lanzi – Mechel Recht: Tommaso da Modena sollte solange die Ehre
gebühren, bis eindeutige Beweise vorlägen, dass ein älterer Künstler bereits in Öl gemalt
habe.23 Die Herkunft Tommasos aus Italien schien für die Kunstwissenschaft nun geklärt,
während die Frage der Ölmalerei noch weiter zur Debatte stand: Während Séroux
d’Agincourt Federicis Meinung gefolgt war und Tommaso für den Erfinder der Ölmalerei
hielt, erachtete 1822 Gustav Friedrich Waagen unter Hinweis auf Lanzis Recherchen Me-
chels Angaben als falsch.24
Mechels frühe Datierung des Gemäldes in das Jahr 1297 und die Lokalisierung des
Künstlers nach Böhmen gehen also auf Ehemants Recherchen zurück, dessen Forschungs-
ergebnisse er ohne Erklärung in seinem Katalog abdruckte. Am Ende des Vorwortes merkt
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
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- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur