Page - 102 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
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Hoppe-Harnoncourt Altdeutsche Malereischule
Nachhaltige Veränderung: Neuarrangement der alten Meister unter Füger
Die meisten der nach Paris gebrachten Gemälde wurden 1815 restituiert und nach Wien
zurückgebracht, darunter auch die kurz davor im Louvre präsentierten altdeutschen Ge-
mälde. Füger konnte nun auch die 1807 aus Salzburg hinzugekommenen Gemälde lang-
fristig in die altdeutsche Schule der Galerie integrieren. Im Juni 1816 waren der erste und
zweite Stock der Gemäldegalerie fertig eingerichtet.76 In den folgenden Monaten arbeite-
te Füger an einem Katalog, der niemals zur Publikation gelangte. Sein Entwurf für ein Vor-
wort hat sich allerdings erhalten.77 Das Gemäldeverzeichnis ist von Kustos Joseph Rosa
jun. verfasst. Daraus ist ersichtlich, welche Gemälde an derselben Wand platziert waren
(Abb. 5):78 Die Katalognummer 1 an der Eingangswand bildete das bereits seit Mechel
Martin Schongauer zugeschriebene Kreuzigungstriptychon von Rogier van der Weyden
(GG 901), während sich das (nach wie vor 1297 datierte) Altarbild von Tommaso da Mo-
dena an der gegenüberliegenden dritten Wand befand, umgeben von Porträts von Am-
berger und Holbein. Ruprechts Kopie nach Dürers Marter der 10.000 Christen (GG 841),
welche bei Mechel unter den Gemälden des 17. Jahrhunderts eingeordnet war, stellte Fü-
ger direkt dem Original (GG 835) an derselben Wand gegenüber. Im zweiten Zimmer, das
ab 1781 ausschließlich dem deutschen 17. Jahrhundert gewidmet war, gab es die größte
Veränderung: Füger kombinierte hier italienische, deutsche und niederländische Werke
des 15. und 16. Jahrhunderts. Demnach fanden sich im zweiten Zimmer an der Wand mit
der Eingangstüre unter anderen die vier Passionsszenen von Rueland Frueauf,79 Joachim
Patinirs Taufe Christi von 1512 (GG 981), der Triumphzug Caesars nach Andrea Man-
tegna,80 ein Porträt von Hans Baldung Grien (GG 864), der Hl. Cyriakus aus dem 15. Jahr-
hundert,81 Hans Memlings Johannesaltärchen (GG 939), Allessandro Alloris Martha und
Christus (GG 1625), die Anbetung von Gerard David (GG 904) und Bruegels Selbstmord
Sauls (GG 1011). Die gegenüberliegende dritte Wand enthielt fast ausschließlich Werke
des Quattrocento aus unterschiedlichen Regionen Italiens, darunter Signorellis Geburt
Christi (GG 313), Palma Vecchios Johannes der Täufer (GG 35), Maria mit Kind und Heiligen
von Perugino (GG 151) sowie der Hl. Sebastian von Mantegna (GG 301). Im dritten Zim-
mer fand sich der größte Teil der frühen niederländischen Schule – die unter Mechel noch
im gegenüberliegenden Flügel des Gebäudes der deutschen gegenübergestellt war. Das
vierte wird noch als niederländisches Zimmer bis zur blühendsten Epoche bezeichnet. Die
Durchmischung setzte sich bei den Zimmern linker Hand des Marmorsaales fort: Im ersten
Raum waren die Bilder italienischer Meister verschiedener Epochen, im zweiten „vermisch-
te Gemälde mittlerer Niederländer und neuerer vaterländischer Künstler“, im dritten meist
deutsche, zum Teil noch lebende österreichische Maler und im vierten ebenfalls vermisch-
te Werke niederländischer und deutscher Künstler untergebracht.82 Fügers Beschreibung
der Räume hinterlässt, besonders im Vergleich zu Mechels Anordnung, einen planlosen
Eindruck. Der Vorbericht für den Katalog enthält keinerlei Erklärung zu didaktischen Ab-
sichten bei der neuen Aufstellung: „Bei der Anordnung der Gemälde hat man die bisher
bestandene Eintheilung nach den bekannten Kunstschulen beibehalten. Da es aber nicht
möglich war, dass bei einer solchen Menge die Anzahl der Stücke aus einer Schule immer
mit dem Raum des dazu bestimmten Zimmers genau zutreffen konnte, so hat man dieje-
nigen Bilder, welche in ihrer Schule nicht Platz fanden, in einer andern eingetheilt, mit
welcher sie am meisten übereinstimmten.“83
Kustos Rosa jun. äußerte sich nach Fügers Tod 1818 kritisch zur Anordnung der Gemäl-
de und stufte den geplanten Katalog als unwissenschaftlich ein. Der verstorbene Direktor
habe die Namen der Meister falsch oder gar nicht erwähnt und außerdem die Schulen ver-
mengt, nur um die Symmetrie beizubehalten.84 Daher bot sich Rosa jun. an, die Galerie
„wieder in ihre vorige Würde und Cronologische Ordnung“ zu bringen. Für Kenner, Künst-
ler und Fremde erhalte sie dann wieder „Werth und Achtung“. Auf Grund der von seinem
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837), Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Die Kaiserliche Galerie im Wiener Belvedere (1776–1837)
- Volume
- 1
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 312
- Category
- Kunst und Kultur