Page - 320 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
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Wolf Museumskulturen
Antiken, die sich seit 1677 in der Tribuna befand und um 1800 sogar dem Apoll vom
Belvedere den Rang ablaufen sollte, bis sie später selbst als römische Kopie erkannt wurde.
Wenn Zoffany aus der Vielzahl der dargestellten kunstbeflissenen Engländer8 einige gerade
die Rückseite der Statue bewundern lässt, scheint dies gleichsam eine Ironisierung des
alten Paragonearguments von vielansichtiger Statue versus einansichtiger Malerei. Tizians
Werk bleibt bildintern weniger beachtet, bietet sich aber darum umso mehr dem Auge des
Betrachters vor dem Bild an. Zoffany selbst ist vor der linken Wand dargestellt; in den
Händen hält er ein Marienbild Raffaels, das er im Begriff war, zu verkaufen – in der Tat
handelt es sich um die Niccolini Cowper Madonna, die sich heute in der National Gallery in
Washington befindet. Zoffany hat ein sehr beziehungsreiches Werk mit vielen ironischen
Anspielungen auf bekannte englische Florenzreisende des 18. Jahrhunderts geschaffen,
das vielfältige Reaktionen ausgelöst hat und den königlichen Auftraggeber durchaus irri-
tierte. Hier ist wichtig festzuhalten, dass Zoffany die Tribuna ganz im purifizierenden Geist
der Neuordnung des Museums durch Großherzog Leopoldo von Toskana zeigt. Das dritte
Element, jenes der kostbaren Dinge, scheint aus ihr verschwunden; wir wohnen einer von
konversierenden Betrachtern populierten Begegnung von antiker Skulptur und neuzeit-
licher Malerei bei, deren wichtigster Protagonist Raffael (bzw. Tizian) ist.
Man kann sich fragen, ob und wie die Neuordnung von Sammlungen in der vornapo-
leonischen Zeit zu verstehen ist und welches ihre Träger oder Protagonisten sind: als eine
Eigendynamik des Kunstdiskurses, als Analogie zur Ausdifferenzierung der Wissenschaften
mit dem Ende der Naturgeschichte,9 der Etablierung neuer Taxonomien in den Naturwis-
senschaften – denken wir an Comte de Buffon in Paris, dem wir nochmals begegnen
werden. Es handelt sich um ein komplexes Phänomen, das vielleicht nicht nur als Bruch
mit und eine Befreiung von den überfüllten Kunst- und Wunderkammern mit ihren
assoziativen und experimentellen Ordnungen beschrieben werden kann, schon deswegen
nicht, weil diese Kunst- und Wunderkammern selbst heterogen waren: Dresden wäre hier
ein exzellentes Beispiel.10 Beobachten lässt sich eine fortschreitende Differenzierung der
Sammlungen bis hin zur räumlichen Trennung von Gattungen und neuen Ordnungen
einer reinen Antike, einer reinen Malerei, bzw. im Idealfall ihrer Gegenüberstellung. Man
darf dabei nicht vergessen, dass die Tribuna u. a. nach Giorgio Vasaris Kunstgeschichte als
„arti del disegno“ im Sinne einer Professionalisierung der Künste geschaffen worden war,
ja man sich fast über die Verspätung der topographischen, künstlerzentrierten und ent-
wicklungsgeschichtlichen Ordnungen von Malerei in den Museen wundern kann. Als
theoriewürdige Praktik hatte sie schon Alberti grundgelegt bzw. sie Van Eyck in den
Werken selbst thematisiert. Es handelt sich um Narrative, die bei Vasari auch nationale
und dynastische Zielrichtungen haben, sich als ein museo cartaceo in seinen stilgeschicht-
lich sensiblen Albumblättern finden11 und später zum Ordnungsprinzip der Graphischen
Reproduktionen werden (aus dieser Welt stammt ja Christian von Mechel und sein Ver-
zeichniß der Gemälde der kaiserlich königlichen Bilder Gallerie in Wien), aber eben nicht in
einem Museum der Malerei zusammenfanden trotz gewisser Vorformen – auch wenn die
Bildertapeten der barocken Galerien nach subtileren, multipleren Kriterien sortiert waren,
als es die ältere Forschung angenommen hat. Kennerschaft ist ja keineswegs eine Erfindung
des 18. Jahrhunderts; ein früher Zeuge ist Giulio Mancini mit seinen Considerazioni, ent-
standen zwischen 1620 und 1623.12 Es ist der purifizierende Gestus gegenüber dem in mehr
als zweihundert Jahren Zusammengetragenen, der zu den Gemäldemuseen geführt hat,
und es ist ein Zusammenspiel von Kunstmarkt (in dem Mechel, der Heros dieser frühen
Phase der Neuinstallation von Gemäldegalerien, eine wichtige Figur war13), herrscherlicher
Kunstpolitik in einer Neubestimmung von Herrschaft und ihrer Repräsentation sowie
neuen Paradigmen im Verständnis von Natur und Kultur bzw. ihres Verhältnisses, aus
dem man diese Entwicklung, um das Wort einmal zu verwenden, verstehen kann. Und mit
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur