Page - 330 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
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Wolf Museumskulturen
Rembrandt führt.49 Einordnung findet nicht rigoros nach Schulen statt, sondern immer
wieder auch nach den „geistigen Einwirkungen“ wie im Falle von Poussin, der unter den
Italienern hängt, und in dem neuen entwicklungsgeschichtlichen Modell ist Raffael durch-
aus nicht mehr der Kulminationspunkt. Gustav Friedrich Waagen hatte die Hängung im
Louvre trotz des tiefen Eindrucks, den sie bei ihm hinterließ, dahingehend kritisiert, dass er
lieber eine lineare Kunstgeschichte sehen wolle (als die komplexe Rhythmisierung wie bei
Denon). Das Alte Museum ist ein schönes Beispiel für den Versuch der Balancierung des
Fokus auf dem Einzelwerk, auf dem Künstler und seiner Entwicklung wie auf der chrono-
logischen Serie und dem Zusammenspiel oder der Verschränkung von Schulen. Es hat eine
klare Superposition der ‚reinen Antike‘ und der ‚reinen Malerei‘ geschaffen, die eine Vor-
geschichte im 18. Jahrhundert hat, auch im Louvre vorgegeben ist und sich doch schön
im Kontrast zu Wien sehen lässt. Im Untergeschoss befinden sich nicht mehr die Ställe,
sondern die antike Skulptur; es handelt sich nicht um ein Prinzenpalais mit seinem Zoo
(man denke an den Löwen von Prinz Eugen), sondern um den Kunsttempel am Lust
garten
zur Erbauung und Bildung der Menschheit (nicht mehr primär im Dienste der Geschmacks-
schulung und künstlerischen Nachahmung), auch natürlich der Nation. Angesichts der
an mehreren Orten in unterschiedlicher Weise realisierten Superpositionen von antiker
Skulptur und nachantiker Malerei stellt sich nicht nur die Frage nach der Beziehung ihrer
Binnenordnungen, sondern zeigt sich auch eine gewandelte Bedeutung der Rolle der
Antike und jener der europäischen Malerei für die Zeit um 1800 jenseits der traditionellen
Paradigmata. Fragen drängen sich auf: Wie finden Sammlungen nachantiker und zeit-
genössischer Skulptur ihren Ort in diesen Konstellationen, über die Einführung von einzel-
nen, modernen Werken in die Antiken hinaus? Ein Thema, das bis zum Bodemuseum führt
oder zu den aktuellen Plänen der Zusammenführung von Malerei und Skulptur auf der
Museumsinsel und am Kupfergraben.
6. ORDNUNGEN DER KULTUREN: UNIVERSALE MUSEEN UND
ENZYKLOPÄDISCHE SAMMLUNGEN
Was geschah, während in den betrachteten Museen Malerei und antike Skulptur sich
„rein“ begegneten oder gegenübertraten, gleichzeitig mit den anderen Dingen, die in
historischer, wissenschaftlicher oder ästhetischer Hinsicht als bedeutend eingeschätzt
wurden? Welche Ordnungen und welche Öffentlichkeit wurden diesen geschaffen?
Man denke an die Sammlungen der Naturalia, der Scientifica etc.50 Die Entstehung der
naturhistorischen Museen wurde mit der Pariser Institution Buffons kurz erwähnt; sie
stehen hier nicht zur Diskussion – immerhin sind sie lange Zeit auch Ort ethnographischer
Sammlungen –, ebensowenig die Frühgeschichte der Kunstgewerbemuseen und der
multimedialen Sammlungen mittelalterlicher Kunst. Meine Frage gilt vielmehr anderen
Artefakten, die nicht in diese paragonale Konfrontation griechischer Skulptur und europä-
ischer Malerei passen: Was geschieht in Paris, in Berlin, in London mit den Objekten, die
auf unterschiedliche Weise aus Ägypten, China, Indien, Persien, Mexiko oder der Südsee
kommen: Wie fügen sie sich in ein museales Narrativ oder Modell ein? Oder werden neue
museale Konzepte und Einrichtungen für sie entwickelt? Dies führt zur Frage nach der Ent-
stehung des universalen bzw. enzyklopädischen Museums, in der auch die Malerei ihren
Ort haben mag, oder eines Konglomerats von Museen. Mit einem knappen Blick nach
London und Berlin sei diese Skizze geschlossen.
Ausgangspunkt für die Gründung des British Museum sind bekanntlich die nicht-
königlichen Sammlungen, vor allem jene des weitgereisten Hans Sloane, Nachfolger
von Newton als Präsident der Royal Society. Die reichen Schätze an Flora und Fauna, an
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur