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339 Felfe Dynamiken von Sammlungskultur
rabiate Eingriffe.13 Zudem gab es Abgänge, die gleichsam zwischen den Polen einer selek-
tiven Veräußerung und dem schlichten Verlust zu lokalisieren sind. So brachte der Geld-
wert von Sammlungsstücken, insbesondere im Falle der so genannten Schatzkunst, nicht
nur einen besonderen Glanz, sondern erhebliche Gefahren mit sich. Verstärkt in
Krisensitua tionen drohte ihnen eine schnelle und allein materialbasierte, monetäre Ver-
flüssigung.
Nahezu alle der genannten Momente finden sich komprimiert in der Geschichte der
Rudolfinischen Kunstkammer in Prag, angefangen von ihrer Blütezeit um 1600, über die
wiederholte Überführung wichtiger Teile seit dem Tod Rudolfs II. nach Wien, bis zu ge-
planten Veräußerungen im Zuge des 30-jährigen Krieges und den Verlusten durch Plünde-
rungen 1631 und 1648.14
Später war Prag Zwischenstation in einer der größten Transferaktionen bildender
Kunst im frühneuzeitlichen Europa. Sie begann mit dem Verkauf zentraler Werke, insbe-
sondere der italienischen Malerei aus den Sammlungen der Gonzaga in Mantua, in den
Jahren 1627 und 28, kurz vor Ausbruch des Erbfolgekrieges um das Herzogtum. Unter
großen Verlusten wurden die Kunstwerke nach London gebracht, und es gelang Charles I.
mit diesen Erwerbungen die damals vermutlich größte Sammlung italienischer Malerei
nördlich der Alpen aufzubauen.15 Rubens etwa war zugleich erstaunt und entsetzt, als er
ein Jahr später in London etliche Werke antraf, die er aus der Sammlung der Gonzaga
kannte, für die er einst selbst Ankäufe arrangiert hatte.
Aber auch die Sammlungen des englischen Königs waren keineswegs stabile Gebilde.
Nach dessen Enthauptung 1649 veräußerte Cromwells republikanisches Regime nun sei-
nerseits in einer beispiellosen Verkaufskampagne die königlichen Kunstsammlungen, um
einen Teil der gigantischen Staatsschulden zu tilgen.16
Im Zuge dieser Verkäufe gelangten wiederum seit 1650 zahlreiche teils berühmte Ge-
mälde aus den Sammlungen von Charles und anderen Royalisten in den Besitz von Erzher-
zog Leopold Wilhelm, dem damaligen Statthalter der südlichen Niederlande. Vor allem
während seiner Regentschaft in Brüssel hat dieser Bruder des Kaisers eine der auserlesen-
sten Kunstsammlungen des damaligen Europa aufgebaut.17 Als er 1656 von seiner Brüsse-
ler Residenz nach Wien übersiedelte, brachte er seine Sammlungen mit, und sie fanden
größten Teils in der Stallburg Aufstellung. Insbesondere dieser Zuwachs von nachweislich
über 520 Gemälden gilt als eine der großen Zäsuren in der Geschichte der Wiener Kunst-
sammlungen.18
Eine der massivsten ‚Bewegungsformen‘ also, durch die Fürsten als Sammler in vielfäl-
tigen Beziehungen standen, war eine Dynamik von Zuwachs und Abgängen am Korpus
der Exponate selbst. Seit dem 16. Jahrhundert zunehmend wichtige Akteure dabei waren
Kunst-Agenten, die wiederum häufig selbst künstlerischen Berufen entstammten, sich zu-
dem aber als Kenner und Antiquare zu profilieren vermochten. Ein prominentes Beispiel
für diese Karrieren ist etwa die des Jacopo Strada – als Antiquar, Händler, Sammler und Pu-
blizist stand er im Dienst mehrerer Kaiser aus dem Haus Habsburg und anderer Fürsten
(Abb. 1).19 So ist es durchaus charakteristisch, dass im 17. Jahrhundert so namhafte Maler
wie etwa Rubens oder Velázquez zeitweise auch als Agenten für sammelnde Fürsten tätig
waren.20 Daneben traten seit der Zeit um 1600 zunehmend auch solche Vermittler in Er-
scheinung, die – wie der Augsburger Philipp Hainhofer – zugleich als Sachverständige
Tauschgeschäfte arrangierten und als Generalunternehmer in eigenem Auftrag für fürst-
liche Interessenten arbeiten ließen.21
Die erwähnten Ankäufe der Mantuaner Sammlung für Charles I. kamen so durch ein
mehrgleisiges Agieren auf verschiedenen Ebenen zustande. Auf diplomatischem Parkett
und mit äußerster Diskretion bahnte der aus London gesandte Maler, Musiker und Kom-
ponist Nicholas Lanier den Transfer an, während der in Venedig tätige Kunsthändler Daniel Abb. 2
I.L. Durant, Bildnis Charles Patin, in: Charles
Patin, Relations Historiques, Basel 1673, o.S.
(Photo: Robert Felfe)
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur