Page - 445 - in Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums - Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
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445 Patz Schulzimmer
gen auf, so dass es zu einem Spannungsverhältnis zwischen der symbolischen Ordnung
und den ordnenden Handlungsvollzügen am Objekt kommt. Die Formate der Gemälde
selbst werden, entsprechend den unterschiedlichen Buchformaten, zu einem Störfaktor
der idealen Ordnung, wie Pelli in seinem abschließenden Fazit zur Neuhängung der Ge-
mälde feststellt. Dies gilt umso mehr, als die Systematiken der Neuaufstellungen tendenzi-
ell orts- und kontextunabhängig gedacht waren und über den damit gegebenen, schein-
bar universellen Geltungsanspruch eine mögliche Kontrolle des Wissens suggerierten.
Die chronologische und nach Schulen geordnete Hängung von Bildern war für die Zu-
kunft des Museums deshalb besonders wichtig, weil sie ein Organisationsprinzip einführ-
te, das vom realen architektonischen Plan seines Gebäudes oder seiner Ausschmückung
unabhängig gedacht werden konnte. Die frühneuzeitliche Galerie hingegen hatte ein ein-
heitliches Kunstwerk dargestellt, in dem Objekte und Architektur im wesentlichen mitein-
ander verbunden waren (Abb. 5). Die Bilder waren zumeist in geschwungener, vergolde-
ter Tafelung eingefasst, in der sie mit der Architektur verschmolzen; wenn erforderlich,
hatte man sie beschnitten oder vergrößert, damit sie an den ihnen zugewiesenen Platz
passten.26 In der neuen Konzeption der Rolle des Museums verloren die Rahmen der Bilder
ihre Funktion als Architekturelemente, welche die Ausstellungsgegenstände mit dem Bau-
werk verbanden. Statt dessen wurden die Rahmen zu optischen Hilfen, welche die Objek-
te von ihrer Umgebung trennten und sie so in eine Beziehung zum Betrachter setzten.
Mechels und Lanzis Systematisierung von Gemälden und Objekten nach strikt geo-
graphisch-chronologischen Gesichtspunkten unterschied sich von der multireferenziellen
Hängung früherer Galerien, die als ästhetisch-dekorative Aspekte berücksichtigende
Arrangements hergestellt wurden und im Sinne einer repräsentativen Gemäldeordnung
verstanden werden können, auch wenn diese bereits erste Elemente der topographi-
schen Ordnung, der Systematik nach Bildgattungen und der Hierarchie einzelner Künst-
ler umfasste (Abb. 6).27 Auf der Grundlage des Zusammenfallens von Ort und Ordnung
diente der Galerieraum gleichermaßen als ein Medium der Herstellung spezifischer
Systematiken im Umgang mit den Kunstgütern wie der Vermittlung dieser Systematiken
an die Besucher. Eingepasst in ein strenges räumliches Ordnungsgerüst dienten die Bilder
der Repräsentation der diskursiv hergestellten Kunstgeschichte der Malerei; oder mit an-
deren Worten: man betrat weniger einen Raum der Kunst als einen Raum der Kunstge-
schichte.
Schulzimmer
Mechels neuartige Konzeption einzelner ‚Schulzimmer‘ war durch die vorgefundene Zim-
merfolge im Oberen Belvedere befördert worden. Ihre eine spezifische Form der Kunstbe-
trachtung konstituierenden Merkmale standen im Gegensatz zu der auf einen ästheti-
schen Gesamteindruck zielenden langgestreckten, baulich geschlossenen Form der Gale-
rie, der die Funktion eines ‚Bewegungsraums‘ inhärent war. Erstmals tritt dieser Gedanke
in einem an Mechel adressierten Schreiben vom 3. November 1779 zu Tage, das etwas
später im Deutschen Museum veröffentlicht wurde. Unter dem Eindruck der Dresdner Ge-
mäldegalerie berichtet der anonyme Autor: „Aufs neue bin ich in der Meinung bestärket
worden, daß Abtheilungen mehrerer Zimmer großen Sälen vorzuziehen sein. Hier verliert
sich das Auge auf solch‘ einer größeren Wand, irrt unter der Menge umher, eh es sich fes-
seln kan, und dann selbst wird seine Aufmerksamkeit öfters wieder abgezogen: [...]“.28
Es ist jener konzentrierte Blick, der dem schweifenden Auge gegenübergestellt wird,
den Reisende wie August Klingemann bei sich selbst in der Belvederegalerie feststellten:
„Recht wohlthuend ist es mir gewesen, die Werke der besonderen Schulen und Künstler
bei einander anzutreffen, und nicht so vermischt, wie in manchen anderen Gemälde-Gal-
lerien vorzufinden. Der Studirende schaut sich in den Styl und den eigenthümlichen Cha-
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur