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449 Patz Schulzimmer
der Gemälde, ihre Beschreibung und Nummerierung nicht mehr aus. Jedes Gemälde
musste zuvor auf seinen Stil/seine Manier hin betrachtet und einem Künstler zugewiesen
werden. Im Akt der Zuschreibung der einzelnen Gemälde überführte Mechel diese in ei-
nen übergreifenden Geschichtszusammenhang.41 Dafür dienten ihm nicht nur die überlie-
ferten Inventare als historische Quellen, sondern auch die entsprechenden ‚Galeriewerke’:
„Dans la même année un des peintres de la Cour, Antoine de Prenner, fit paroítre un vo-
lume de 166 gravures d’après les plus beaux tableaux de cette nouvelle Galerie, sous le
titre de Theatrum Artis pictoriae. Ce Recueil fut suivi en 1735 d’un second ouvrage que
Prenner publia de concert avec un autre peintre de la Cour, François de Stampart, et qui re-
présente tous les tableaux de la Galerie au nombre d’environ mille, en autant d’estampes
très-petites, gravées à l’eau-forte sur 24 planches; il a pour titre: Prodromus seu preambu-
lare Lumen Pinacothecae Caesareae.“
Der Auftrag Mechels bestand folglich darin, jedes der zuvor inventarisierten Gemälde
auf seine Manier/seinen Stil hin zu beurteilen, um es in den entsprechenden Werkzusam-
menhang eines Künstlers oder einer ihm entsprechenden Malerschule überführen zu kön-
nen. Die Bestimmung der Zugehörigkeit eines Gemäldes nach dem Grad der Ähnlichkeit
mit der allgemeinen Vorstellung von der Manier war die Voraussetzung dafür, das Gemäl-
de in jenes kunsthistorische Konzept einzufügen, das der Einrichtung des Belvedere zu-
grunde gelegt worden war. Die Signatur des Künstlers, das heißt in einem umfassenderen
Sinne: seine Manier/sein Stil, steht seit der Wiener Belvederegalerie und damit im moder-
nen Kunstmuseum im Zentrum der Kunstbetrachtung und Auseinandersetzung.
Als spezifische Leistung der Anschauung, wenngleich in seinen Fehlurteilen bereits von
den Zeitgenossen kritisiert, ist Mechels Beschriftung der Gemälde mit dem Namen der
Künstler gesehen worden. Die in der Betrachtung und dem Vergleich hervortretenden
Ähnlichkeiten der Gemälde untereinander kann deshalb folgerichtig als Rechtfertigung ih-
rer gemeinsamen Aufstellung in der Galerie als Schule gesehen werden. Allerdings ist der
Vergleich nicht das Ergebnis einer eigenen auf Wahrnehmung basierenden Methode, son-
dern bildet die Voraussetzung für die Aufstellung der Gemälde im Raum. In diesem Sinne
ist die Aufstellung die alleinige Form der Vergewisserung des Wissens von der Manier; der
Vergleich ist die Voraussetzung für die Hängung der Gemälde und bedingt so wiederum
eine vergleichende Betrachtung.
Der Grundgedanke Mechels, das Museum zu einer „sichtbaren Geschichte der Kunst“42
zu formen, erklärt die Geschichte der Kunst selbst zum Ausstellungsprogramm. Die Hän-
gung der Gemälde wird zum manifesten Ausdruck eines Klassifikationswissens, das sich in
Form von tabellarischen und schematischen Schaubildern veranschaulichen ließ. Zur si-
cheren Orientierung des Betrachters erhält der Katalog jetzt eine Vielzahl von topographi-
schen Hinweisen. Seit Mechel und der Wiener Belvederegalerie wird der Katalog zu einer
„‚reduplizierenden Repräsentation‘, welche die Ordnung der Gemälde erfasst und als die
Ordnung der aufgestellten Gemälde zum Vorschein bringt“43. Der Besucher des moder-
nen Kunstmuseums ist somit aufgefordert, die Verdopplung der vorgegebenen Hängung
durch den Katalog und des Kataloges durch die Hängung aufzubrechen und als eine in-
haltliche Beziehung wieder herzustellen.44
Der Katalog Mechels, der jedes Gemälde seinem Platz entsprechend innerhalb der Ga-
lerie verzeichnete, setzte voraus, dass die Sammlung keine Veränderungen erfuhr. Dieser
Zustand war für die Wiener Belvederegalerie allerdings nur wenige Jahre zu halten. Bereits
am Anfang der 90er Jahre des 18. Jahrhunderts stellten Besucher der Belvederegalerie fest:
„Herr von Mechel aus Basel hatte diese Gallerie in Ordnung gebracht, und ließ einen Ka-
talog darüber druken welcher sehr bequem eingerichtet war, indem der Name des Mah-
lers und die Nummer des Gemähldes beinah in allen angegeben war. Der jezige Inspektor
Herr Rosa hat aber die ganze Ordnung wieder verändert; wir finden jedoch nicht, daß er
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur