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Patz Schulzimmer
von einigem Ruhme aus einer Schule entstanden sind, so kann man der deutschen Schu-
le, die nur uneigentlich so genannt wird, keinen besonderen Charakter zueignen. Was ei-
nige französische Schriftsteller von dem Charakter der deutschen Maler sagen, ist ein Ge-
schwätze, das ihrer Unwissenheit zuzuschreiben ist. Man trifft in den verschiedenen Wer-
ken der deutschen Maler den Geschmack aller Schulen an; denn einige haben sich in Rom,
andere in Venedig, noch andere in den Niederlanden gebildet.“55
Im Rahmen der Konstruktion einer vollständigen deutschen Schule im Sinne „a gallery
must begin with the rudest specimens of all schools“ gerieten nunmehr auch solche Ge-
mälde in den Blick, die zuvor aus ästhetischen Gründen („the admission of rubbish“) kei-
nen Eingang in eine Galerie gefunden hatten. Mechel erprobte zugleich das wissenschaft-
liche Potential seines neuen Ordnungssystems, indem er die erst kürzlich auf Schloss
Karlstein als Ölgemälde deklarierten zwischen 1340 und 1350 gefertigten Tafelbilder von
Tomaso da Mutina (gemeinsam mit den sogen. Ölbildern von Theoderich von Prag und
Wurmser) in der Belvederegalerie ausstellte und sie zugleich als den Ursprung der deut-
schen Schule deklarierte. Die theoretische Begründung hierfür lieferte die Schrift Lessings
Vom Alter der Ölmalerey aus dem Theophilus Presbyter von 1774, der als Bibliothekar in der
Herzog August Bibliothek das hochmittelalterliche Werk Schedula diversarum artium des
Theophilus Presbyter entdeckt und übersetzte hatte. Der praktische Beweis war in Verbin-
dung mit den 1879/80 durch naturwissenschaftliche Untersuchungen gestützten Ergeb-
nissen des Geschichts- und Kunstforschers Lothar Franz Ehemant und des Malers Quirin
Jahn gegeben, indem beide erklärten, man habe sich in Böhmen schon ein volles Jahrhun-
dert früher, ehe die Gebrüder van Eyck auftraten, der Ölfarben bedient und in dieser Ma-
nier großartige Werke geschaffen. Der sich in Folge dieser Behauptungen entwickelnde li-
terarische Streit, an welchem sich viele Gelehrte beteiligten, wurde erst im Laufe der Mit-
te des 19. Jahrhunderts durch den unzweideutigen Nachweis geschlichtet, dass Mutina
aus Modena herstamme und in Treviso lange gearbeitet habe, auch dort verstorben sei.
Ferner wurde durch chemische Untersuchungen festgestellt, dass sowohl die in Treviso
wie die in Böhmen befindlichen Werke des Mutina nicht mit Öl- sondern mit eigentümlich
zubereiteten Gummifarben, al tempera, ausgeführt worden seien. Trotz dieser Irrtümer
war die von Ehemant gegebene Anregung eine außerordentliche und nachhaltige, die
nicht zuletzt durch die Aufstellung der Gemälde im Zimmer der „ältesten Teutschen Meis-
ter“ der Belvederegalerie ihre sichtbare Präsenz erhielt.56
Nationale Schulen
Die Kategorisierung nach nationalen Schulen setzte im Vergleich zu den anderen Schulen-
bildungen neue Potentiale ihrer Erforschung frei. Als Methode unterschied sie sich grund-
legend von der einfachen Dualität von nördlicher und südlicher Kunst57, so wie sich diese
in der kurzzeitigen Hängung von Joseph Rosa von 1777 bis 1781 in der Belvederegalerie
zeigte: „Die im ersten Stockwerk sondert ein grosser Sal ab, so daß also zu jeder Seite sie-
ben grosse Zimmer zu stehen kommen. Man sieht hier Meisterstücke von den vornehm-
sten Künstlern Italiens, als einem Paulo Veronese, Titian, Tintoretto, Giorgione, Palma, Ra-
phael, Coreggio, Leonardo Davinci, Ca[rr]acci, Guido, u.s.w. Im zweyten Stocke sind
ebenfalls von den schönsten Gemälden zu finden, worunter viele von holländischen Mei-
stern, als Wuvermann, Berchem, De Hem, Reinbrandt, Vandervelden, Muscheron, und an-
dere sind.“58 Rosas Hängung (wie bereits in Dresden und Düsseldorf realisiert) nimmt Be-
zug auf die Teilung Europas in zwei große Kunstlandschaften. Der entscheidende Unter-
schied zur Hängung nach Schulen liegt nunmehr darin, dass sie keine systematische
Einbindung in den Gesamtablauf der Kunstgeschichte erfahren hatte. Den trennenden
Faktor bezeichnet die griechisch-römische Antike. Die Kunst des mit ihr geographisch ver-
bundenen mediterranen Kulturkreises trage das ‚Streben zum Idealischen‘ weiter in die
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur