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Elisabeth Décultot Zur Entstehung des
Museums als „sichtbare
Geschichte der Kunst“
CHRISTIAN VON MECHELS VERHÄLTNIS ZU JOHANN GEORG
WILLE UND JOHANN JOACHIM WINCKELMANN
In der Museumsgeschichte wird dem Basler Christian von Mechel (1737–1817) für ge-
wöhnlich eine zentrale, wenn auch zum Teil doppeldeutige Stelle zugewiesen. Als Anreger
und Organisator der Neueinrichtung der Kaiserlich Königlichen Belvedere-Galerie gilt er
als Einführer einer neuen Taxonomie sowohl in der Hängung als auch in der Katalogisie-
rung der Gemälde, die zum ersten Mal für eine so umfangreiche Sammlung auf einer dop-
pelten Anordnung nach Schulen und geschichtlicher Entwicklung beruhte. Allerdings wird
diese Leistung meistens nicht ohne Einschränkungen anerkannt. Zunächst einmal sei sei-
ne Einteilung der Kunstwerke nicht frei von Zuschreibungsfehlern.1 Darüber hinaus habe
Mechel nicht ganz ohne Vorbild und Wegweiser gearbeitet. Seinen musealen Schulbegriff
verdanke er z.B. Nicolas de Pigages Arbeit an der Düsseldorfer Galerie, für deren illustrier-
ten Katalog sein Basler Verlag die Stiche hervorgebracht hatte.2 Ausschlaggebende Anre-
gungen für diese Arbeit scheint allerdings der europaweit vernetzte Mechel von anderen
Figuren des Kunstbetriebs und der Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des 18. Jahrhun-
derts bekommen zu haben. Dazu zählen etwa der Kupferstecher und Kunsthändler Johann
Georg Wille (1715–1808), der auf Mechels Kunstauffassung und geschäftliche Aktivitäten
einen großen Einfluss ausübte, und Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), zu dem
Mechel u.a. über Willes Vermittlung rege Beziehungen unterhielt. Ziel der vorliegenden
Untersuchung ist es, auf die drei Figuren dieses Netzes — Mechel, Wille, Winckelmann —
einiges Licht zu werfen, um die Entstehung der Wiener Belvedere-Galerie als „sichtbare
Geschichte der Kunst“ zu beleuchten.3
1. CHRISTIAN VON MECHEL UND JOHANN GEORG WILLE
1.1. Lehrjahre in Paris
In Johann Georg Willes Pariser Stecherakademie und -werkstatt verbrachte Christian von
Mechel etwas mehr als zwei Jahre — ein Aufenthalt, der nicht nur aufgrund seiner längeren
Dauer, sondern auch wegen seiner Schlüsselstellung in der künstlerischen und kaufmänni-
schen Karriere des Basler Stechers von entscheidender Bedeutung gewesen ist. In Willes
Haus und Atelier am Quai des Augustins traf der junge Mechel im Oktober 1757 ein, nach-
dem er sich zunächst bei Georg Daniel Heumann (1691–1759) und den Gebrüdern Johann
Justin, Georg Martin und Valentin Daniel Preisler4 in Nürnberg, später bei Johann Georg
Pintz (1697–1767) in Augsburg ausgebildet hatte. Das Haus des berühmten, aus Biebertal
bei Gießen stammenden und seit 1736 in Paris etablierten Stechers verließ Mechel erst im
Januar 1760, um ein eigenes Stecheratelier in der französischen Hauptstadt zu gründen. Im
Herbst 1764 setzte er seinem Pariser Aufenthalt ein Ende und fuhr in seine Heimatstadt Ba-
sel zurück, um dort seine Geschäfte und künstlerischen Aktivitäten weiterzuentwickeln.
Abb. 1
Jean-Baptiste Greuze
(Tournus 1725–1805 Paris),
Bildnis von
Jean-Georges Wille,
1763, Öl auf Leinwand,
59 x 49 cm.
Paris, Institut de France –
Musée Jacquemart-André
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Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur