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Décultot Museum als sichtbare Geschichte
vermittelte, finanzieren. Nicht selten blieben die „élèves“ als Gesellen mehr als fünf Jahre
in Willes Unternehmen tätig, wie es etwa für Adrian Zingg (1734–1816), Balthasar Anton
Dunker (1746–1807) oder Sigmund Freudenberger (1745–1801) der Fall war. Dazu ka-
men noch gelegentliche Mitarbeiter („collaborateurs“), mit denen Wille für punktuelle
Aufträge zusammenwirkte.11 Dieser Einrichtung fügte Wille um 1754 eine „Zeichnungs-
schule“ hinzu, in der die bei ihm verkehrenden, oft aus dem Ausland kommenden Künst-
ler und Schüler eine anspruchsvolle Zeichenausbildung genießen sollten. Dort wurden die
angehenden Künstler angehalten, nach dem Leben zu zeichnen und sich in der Natur
Landschaftsstudien zu widmen.12 Diese verschiedenen Einrichtungen haben zu Willes eu-
ropäischem Ruhm erheblich beigetragen. Willes „pensionnaires“, Schüler oder Mitarbeiter
wurden etwa nach Kopenhagen (Johann Georg Preisler [1757–1813], Sohn von J.M. Preis-
ler), Dresden (Adrian Zingg) oder Petersburg (Ignaz Sebastian Klauber [1753–1817]) ge-
schickt, wo sie sich als hervorragende Stecher oder Zeichner einen Namen machten. In
diesem europäischen Netz spielt Wien eine ganz besondere Rolle: dorthin wurde nach vier
Jahren Ausbildungszeit in Paris der ehemalige „pensionnaire“ Jakob Matthias Schmuzer
(1733–1811) als Direktor der neu gegründeten Kupferstich- und Zeichnungsakademie be-
rufen, wohin er auch den ehemaligen Wille-Schüler und -Gesellen Franz Edmund Weirot-
ter (1730–1771) als Professor für Landschaftsmalerei an die Akademie holte.
Christian von Mechel gehörte zur Gruppe der „pensionnaires“. Von seinem Vater wur-
de er dafür großzügig mit einer monatlichen Pension von 100 Pfund finanziert, was den
ehemaligen Wille-Schüler und Mechel-Mitarbeiter Balthasar Anton Dunker (1746–1807)
in den 1780er Jahren zu einer bissigen Satire veranlasste. Mechel (alias Christian van Mor-
cheln) erscheint darin als holländischer Küfersohn, der von seinem Vater nach Paris ge-
schickt wurde, um dort als Koch in der „Schule des berühmten Georg Glanzgott“ ausge-
bildet zu werden. Da der Küfersohn „schöne Mittel besaß“, wurde er dort „sehr gut gehal-
ten, damit er seine Sudeleyen ungestört an selbigen [Heerd] fortsetzen möchte. Van
Morcheln aber, der mehr Geschmack am Schachern und Trödeln, als am Kochwesen fand,
legte bald die Schürze ab, und lief in der Stadt umher, um Bratpfannen und dergleichen
aufzukaufen und damit zu wuchern.“13 Auf den Hintergrund dieser wenig schmeichel-
haften Beschreibung von Mechels Anfängen in Paris soll hier noch näher eingegangen
werden. Wille hingegen zeigte sich mit seinem Schützling durchaus zufrieden. So schrieb
er im Februar 1758 an dessen Vater nach Basel:
„Ein paar worte von Ihrem He. Sohne sind mir angenehmer aufzusezen, von
diesem Schüler welchen ich liebe weil er es wehrt ist. Seine ehrbare auffüh-
rung hat meinen beyfall. Seine emsigkeit Zur kunst ist mein Vergnügen.
Sein munterer geist weissaget mir seine künftige Größe. dieses alles Mein
Herr treibet mich an, Ihnen, und dem Vaterlande mit der Zeit einen würdi-
gen Mann zurücke zusenden. Ich halte ihn, diesem Zwecke immer näher zu
kommen, besonders zur Zeichnung an. Es ist eine Nohtwendigkeit. Auf die-
sem grunde beruhet die ganze Kunst. Ohne sie ist ein künstler kein künstler;
wohl aber das elendeste Mitglied unter seinen Mitbürgern, und wer wolte
ein elendes Mitglied seyn?“14
In Willes Haus wurden aber nicht nur Stiche hergestellt und Künstler ausgebildet, sondern
auch Kunstwerke vielfältiger Art (Gemälde, Zeichnungen, Stiche usw.) angekauft und ver-
kauft. Seit den 1750er Jahren bildete der Kunsthandel einen wichtigen Teil von Willes
Aktivitäten und jährlichem Umsatz. Größere Ankaufsaufträge erhielt er auf französischer
Seite etwa von Claude Alexandre de Villeneuve, comte de Vence (1703–1760), Nicolas de
La Pinte de Livry, Bischof von Callinique (1715–1795), auf deutscher Seite von großen
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur