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Décultot Museum als sichtbare Geschichte
der Redaktion des Buches eigentlich nicht streng eingehalten wurde. Der erste, im Prinzip
a-historische Teil handelt in Wirklichkeit ebenso sehr von der Geschichte der Kunst, wie der
zweite, im Prinzip historische, von einer überzeitlichen Schönheitslehre berichtet.70 Diese
Spannung blieb im „Trattato preliminare“ von Winckelmanns vorletztem Werk, den Monu-
menti antichi inediti, bestehen, dessen Kapitel über die griechische Kunst wiederum zwei
verschiedene Teile aufweist: eine systematische und eine historische Sektion.71 Mechel, der
das Buch in mehreren Exemplaren bestellt hatte, hatte Gelegenheit, sich mit dieser zwei-
poligen Kunstauffassung vertraut zu machen.
Auffallend an Winckelmanns Geschichte der Kunst des Alterthums ist die geringe Anzahl
und mindere Bedeutung der Abbildungen. Ab und zu sind zwar einige, kleinere Vignetten
zu finden, in der gesamten Argumentation spielen aber diese Stiche eine eher nebensäch-
liche Rolle. Stiche vom Laokoon, vom Apollo vom Belvedere oder vom Torso findet man bei-
spielsweise in der Geschichte der Kunst nicht. Für einen Autor, der immer wieder auf die Be-
deutung der direkten Anschauung von Kunstwerken hinwies und für sich selbst die Vortei-
le der Autopsie reklamierte, kann diese Abwesenheit wunderlich erscheinen. Sicherlich hat
das Fehlen von zahlreichen Abbildungen zunächst einmal ökonomische Gründe, hätte
doch die Reproduktion der zahlreichen, von Winckelmann erwähnten Werke große Kosten
verursacht. Eine genaue Erklärung für diese Seltenheit gibt Winckelmann im Werk aller-
dings nicht, scheint sich aber über diesen „Mangel“ ohne Schwierigkeit hinwegzutrösten,
indem er nicht durch Abbildungen, sondern in erster Linie durch literarische Beschreibun-
gen die wichtigeren Kunstwerke der Einbildungskraft des Lesers präsent macht. Mechels
Vorhaben, aus der Neueinrichtung der Belvedere-Galerie eine „sichtbare Geschichte der
Kunst“72 zu machen, kann in dieser Hinsicht sowohl als eine Ausführung denn auch als
eine Überwindung von Winckelmanns kunstgeschichtlichem Programm interpretiert wer-
den. Auf der einen Seite geht er in Winckelmanns Fußstapfen weiter, indem er die Frucht-
barkeit der hauptsächlich von ihm geprägten kunstgeschichtlichen Kategorien des Stils
und der Schule für den neuen Bereich der modernen Malerei zeigt. Auf der anderen Seite
aber kann man in seinem Programm einer in den Museumsräumen selbst konkret visuali-
sierbaren Kunstgeschichte eine Überwindung vom Winckelmannschen Ansatz erkennen.
Im Belvedere wird Kunstgeschichte nicht mehr — wie in der Geschichte der Kunst des Al-
terthums — bloß durch Wörter geschrieben, sondern durch die Bilder selber.
Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
Europäische Museumskultur um 1800, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Die kaiserliche Gemäldegalerie in Wien und die Anfänge des öffentlichen Kunstmuseums
- Subtitle
- Europäische Museumskultur um 1800
- Volume
- 2
- Author
- Gudrun Swoboda
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2013
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79534-6
- Size
- 24.0 x 28.0 cm
- Pages
- 264
- Category
- Kunst und Kultur