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PETRA ROSTOCK/SABINE BERGHAHN
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dass die nationalen Regulierungen sowie nationale Ähnlichkeiten und Diffe-
renzen nur erklärt werden können, wenn das Zusammenspiel der jeweiligen
Staatsbürgerschaftsregime und Integrationspolitiken, Kirche-Staat-Beziehun-
gen, Genderregime und Antidiskriminierungsmaßnahmen sowie das Framing,
innerhalb dessen das Kopftuch debattiert wird, berücksichtigt werden.
Eine herausragende Ähnlichkeit ist, dass in europäischen Kopftuchde-
batten spezifische Werte und Normen als ›floating signifier‹ instrumentalisiert
werden, um Zugehörigkeit zum jeweiligen Nationalstaat zu definieren. In den
meisten Ländern rekurriert man dabei auf die Wertekonzepte ›Geschlech-
tergleichheit‹, ›Säkularismus‹ und ›Integration‹, sowohl um Kopftuchverbote
zu legitimieren als auch, um das Recht auf Tragen eines Kopftuchs zu ver-
teidigen. Dabei werden die verwendeten Normen und Werte jeweils als na-
tionale Konzepte verhandelt (Gresch/Rostock 2009; Ataç 2009). Beispiels-
weise erscheint ›Geschlechtergleichheit‹ immer als Verkörperung der jewei-
ligen nationalen Kultur und Identität, die durch die Bedeckung muslimischer
Frauen bedroht ist bzw. unterminiert wird (Lettinga/Andreassen 2008). Wäh-
rend also die europäischen Kopftuchdebatten in vielen europäischen Ländern
dazu dienen, gesellschaftspolitische Diskussionen über die ›eigenen‹ Werte
und Orientierungen einer Gesellschaft anzustoßen und die Abgrenzung ge-
genüber Muslimen und Musliminnen als den ›Anderen‹ zu befördern, di-
vergieren die politischen bzw. rechtlichen Regulierungen erheblich.
In der wissenschaftlichen Literatur werden die Regulierungen zu religiös
motivierten Köperbedeckungen in Europa meist in drei Modelle eingeteilt:
›restriktive‹, ›selektive‹ und ›nicht restriktive‹ (Kılıç et al. 2008: 398; Skjeie
2007: 130). Bezogen auf das Kopftuch lassen sich jedoch nur zwei Rege-
lungsmodelle identifizieren (Berghahn 2008a): einerseits vorwiegend prohi-
bitive bzw. ›restriktive‹ Regelungen in laizitären Staaten (Frankreich, Türkei)
und andererseits eher tolerante bzw. ›nicht restriktive‹ Regelungen in religiös
›neutralen‹, aber meist ›religionsfreundlichen‹ Staaten (Niederlande, Öster-
reich, Schweiz) sowie in Ländern mit Staatskirche (Großbritannien, Däne-
mark, Griechenland). Einzig Deutschland fällt aus dem Rahmen als religiös
scher Ebene in Dänemark, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritan-
nien, den Niederlanden, Österreich und der Türkei analysiert wurden. Es wurde
insbesondere untersucht, welchen Einfluss die institutionalisierten Verhältnisse
des Staates zu Religionsgemeinschaften sowie Gender- und Staatsbürgerschafts-
regime ausüben. Zweitens wurden Werte, Prinzipien und Normen (Freiheit,
Gleichheit/Gleichbehandlung, Selbstbestimmung, Säkularität etc.), die den poli-
tischen und medialen Debatten eingeschrieben sind, identifiziert; siehe u.a.
Berghahn 2008a und 2008b; Gresch et al. 2008; Gresch/Hadj-Abdou 2008;
Hadj-Abdou 2008; Kılıç 2008; Kılıç et al. 2008; Saharso/Lettinga 2008; Saktan-
ber/Çorbacıoğlu 2008; zudem abrufbar: http://www.veil-project.eu, 24.02.2009.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik