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PETRA ROSTOCK/SABINE BERGHAHN
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Staates. Eine Lockerung der türkischen Kopftuchregulierungen scheint nicht
mehr in Sicht, nachdem der Versuch der regierenden AKP, durch die Verab-
schiedung von Verfassungszusätzen das Kopftuchverbot für Studentinnen an
Universitäten zu lockern, im Sommer 2008 vom türkischen Verfassungs-
gericht für nichtig erklärt worden ist. Der Widerstand der kemalistisch-sä-
kularistischen Kräfte hatte in den Monaten davor zu einer regelrechten
Staatskrise geführt. Aus ihrer Sicht stellt die Lockerung des Kopftuchver-
bots für Studentinnen bereits den ersten Schritt zur Transformation der Tür-
kei in eine islamische Republik dar.
Sowohl die religiös ›neutralen‹ Staaten als auch die Länder mit Staats-
kirche, in denen ›nicht restriktive‹ Regelungen gelten, gehen mehr oder we-
niger tolerant bis kooperativ mit Kirchen und Religionsgemeinschaften um.
Teilweise werden religiöse Bekundungen der Bürger/innen sogar unterstützt
und das Einbringen religiöser Überzeugungen in die öffentliche Sphäre be-
fürwortet, auch wenn dies traditionellerweise vor allem auf die christliche
Mehrheitsreligion bezogen ist. Schülerinnen, Studentinnen, den allermeisten
öffentlichen Bediensteten sowie Beschäftigten in privaten Unternehmen ist es
nicht gesetzlich oder durch Rechtsprechung verboten, ein Kopftuch zu tragen.
Das bedeutet allerdings nicht, dass hier keine Debatten und Konfliktfälle aus
Anlass muslimischer Haar- und Körperbedeckungen existieren.
Auf Initiative des Rechtspopulisten Geert Wilders wurde in den Nieder-
landen 2005 ein allgemeiner gesetzlicher ›Burka-Bann‹ in der Öffentlichkeit
diskutiert und im Parlament anfangs sogar befürwortet. Nach Beratung durch
eine eingesetzte Expertenkommission ließ man die Idee eines Gesetzes zum
Burka-Verbot jedoch aus verfassungsrechtlichen Gründen wieder fallen (Loe-
nen 2008: 324). Im Jahre 2007 startete die Regierungskoalition dann eine
Initiative, um das Recht der Gesichtsverschleierung zu beschneiden. Aller-
dings begegnet eine gesetzliche Regelung dieser Materie im Detail den bereits
von der Expert/inn/enkommission zum Burka-Verbot dargelegten Einwänden.
In sicherheitsrelevanten Sphären sowie in Bildungseinrichtungen, wo aus pä-
dagogischen Gründen eine offene Kommunikation zu gewährleisten ist, kann
ein Verbot der Gesichtsverschleierung bereits unterhalb der gesetzlichen Ebe-
ne im Einzelfall durchgesetzt werden. Bei Richterinnen und Polizistinnen
wurde das Kopftuch per Regierungsdekret untersagt, obwohl die ›Gleichbe-
handlungskommission‹ (als Beschwerdeinstanz und Beratungsinstanz bei Dis-
kriminierungen)5 gegen ein solches Verbot votiert hatte. Abgesehen von die-
sen selektiven Verboten ist das Kopftuchtragen in den Niederlanden erlaubt,
was der holländischen Tradition entspricht, die auf der Selbstverwaltung und
Kooperation von christlichen Bekenntnissen und säkularen Korporationen
5 Abrufbar: http://www.cgb.nl, 24.02.2009.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik