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PETRA ROSTOCK/SABINE BERGHAHN
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Wie Großbritannien zählt Dänemark zu den Ländern mit Staatskirche. Gleich-
zeitig hat sich Dänemark zwischen 1982 und 2002 von einem der liberalsten
zu einem der restriktivsten Migrationsregime entwickelt. Zwar wurde der
Vorstoß einer rechtspopulistischen Partei für ein gesetzliches Kopftuchverbot
parlamentarisch zurückgewiesen. Debattiert wird jedoch derzeit darüber,
Richterinnen das Tragen religiöser Kleidung und Zeichen gesetzlich zu ver-
bieten, obwohl es bisher keine Richterin mit religiöser Kleidung gab, nicht
einmal Musliminnen in Richterinnenpositionen. Aufsehen erregte eine TV-
Moderatorin mit Kopftuch und rief zahlreiche auch feministische islamkri-
tische Proteste hervor (Andreassen 2009). Die wenigen vor Gericht getrage-
nen Konfliktfälle spielten sich ausschließlich in der Privatwirtschaft ab.10 Be-
fasste Arbeitsgerichte reagierten uneinheitlich und sehr fallspezifisch. Nicht-
regierungsorganisationen kritisierten eine mangelnde Sensibilität für mittel-
bare Diskriminierung auf Grund der Religion und des Geschlechts (Andreas-
sen et al. 2008).
In Griechenland, als dem dritten hier diskutierten Land mit Staatskirche,
ist die Stellung der Griechisch-Orthodoxen (christlichen) Kirche besonders
stark und hegemonial. Sie genießt zahlreiche Privilegien. Im Rechtssystem ist
die Hegemonie der Orthodoxen Kirche abgesichert, auch sind Religion und
Rechtssystem, z.B. in Bezug auf die Eheschließung, verknüpft. Verschiedent-
lich wurde Griechenland wegen mangelnder Religionsfreiheit für Andersgläu-
bige vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) verurteilt.
Griechenland gilt daher nicht generell als liberal in religionspolitischer Hin-
sicht. Dennoch besteht gegenüber muslimischen Kleidungspraktiken eine ge-
wisse Toleranz, zum einen weil das Kopftuchtragen auch in der eigenen
christlich-patriarchalen Tradition verankert ist, zum anderen weil eine mus-
limische Minderheit in der Provinz West-Thrakien rechtlichen Schutz als of-
fizielle religiöse Minderheit genießt, der sich aus dem Vertrag von Lausanne
aus dem Jahre 1923 ableitet. Das Kopftuch und die weiter gehenden Be-
deckungen werden daher im eigenen Land mehr oder weniger beschwiegen.
Die Medien greifen eher ausländische Kontroversen (in der Türkei, Frank-
reich oder Deutschland) um dieses Thema auf. Explizite Konfliktfälle gab und
gibt es fast gar nicht. Lediglich einige christliche Cafébesitzer haben be-
deckten Musliminnen den Zutritt zu privaten Cafés verweigert (Avramo-
poulos 2008).
In Österreich, das wie Deutschland zu den religiös ›neutralen‹ Staaten mit
traditionell ›offener‹ Haltung gegenüber (einheimischen) Religionen und
Konfessionen zählt, ist der Islam als Religionsgemeinschaft anerkannt und
gilt seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts als gleichberechtigt. Hierin zeigt
10 Hier ging es um Kopftücher als Modifikationen von Firmenuniformen, um ver-
wehrte Einstellungen und abgelehnte Beförderungen wegen des Kopftuchs.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik