Page - 22 - in Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Image of the Page - 22 -
Text of the Page - 22 -
PETRA ROSTOCK/SABINE BERGHAHN
22
formulierte Kopftuchverbote gegen die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit ver-
stoßen.
Freiheit, Autonomie und Dominanz:
Debatten um das Kopftuch aus der Perspektive
der politischen Theorie und Moraltheorie
Auch Felix Ekardt vertritt die These, dass die deutschen Kopftuchgesetze
unhaltbar sind. Dabei geht es ihm um die gerechtigkeitstheoretischen Grund-
lagen des ›Kopftuchstreits‹ und um die Interpretation der für ihn grundle-
genden relevanten Prinzipien liberaler Demokratien. Zentral ist dabei seine
Grenzziehung zwischen ›Gerechtigkeit‹ und ›gutem Leben‹, die angeben soll,
welcher Bereich den Staat etwas angeht und welcher nicht. Sein liberales
Freiheitskonzept ist ein Modell einer autonomen und freien Selbstentfaltung,
das es jedem und jeder ermöglichen möchte, auf seine und ihre Weise
glücklich zu werden. Bernd Ladwig hält die Kopftuchgesetze für ebenfalls
unvereinbar mit dem Gebot strikter Gleichbehandlung aller Glaubensrich-
tungen. Er argumentiert jedoch mit einem ›ethischen Liberalismus‹, der an-
nimmt, dass ein gutes immer auch ein selbstbestimmt geführtes Leben ist, und
der keine Scheu hat, den Staat auf das Ziel der Förderung personaler Auto-
nomie zu verpflichten. Gleichzeitig ist der ›ethische Liberalismus‹ sensibel
für Differenzen, die identitätsbestimmende Praktiken und Überzeugungen be-
treffen. Daraus ergibt sich ein moderat multikulturalistischer Umgang mit
religiösen Ausdrucksbedürfnissen, und damit die prinzipielle Zulassung von
Kopftüchern im öffentlichen Dienst. Elisabeth Holzleithner erweitert ›Ge-
rechtigkeit‹ um die Kategorie ›Geschlecht‹. Vor dem Hintergrund der Kontro-
versen zwischen ›Feminismus‹ und ›Multikulturalismus‹ richtet sie ihren Fo-
kus auf religiöse und kulturelle Praktiken. Dabei analysiert sie den ›Kopftuch-
streit‹ unter Bezugnahme auf das Prinzip der ›Autonomie‹ als Frage nach je-
nen Bedingungen, unter denen eine Person über die Angelegenheiten ihres
Lebens selbstbestimmt zu entscheiden vermag. Cengiz Barskanmaz vertritt
die These, dass der deutsche ›Kopftuchdiskurs‹ nur aus einer postkolonialen
Perspektive angemessen analysiert werden kann, da »das Kopftuch einem
westlichen kulturhegemonialen Vorverständnis unterliegt, dessen Konstruk-
tionen von Islam und Kopftuch auf einer orientalistischen Kolonialtradition
aufbauen«. Diskursanalytisch zeigt er vor allem anhand des ›Ludin-Urteils‹
auf, dass sich das Bild des Islams als Bedrohung westlicher Werte und als
unvereinbar mit der deutschen freiheitlichen Rechtsordnung durchgesetzt hat
und hegemonial im deutschen Rechtsdiskurs geworden ist. Dabei fungiert die
›untergeordnete Stellung der muslimischen Frau‹ als vergeschlechtlichte Mar-
kierung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen zwischen der christlich-
abendländischen und der islamischen Werteordnung.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik