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EINLEITUNG
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Eine Frage der Selbstbestimmung?
Kopftuchdebatten um Religion, Kultur und Geschlecht
Vor dem Hintergrund der Frage, ob der Islam überhaupt mit westlichen De-
mokratien vereinbar sei, zeichnet Birgit Rommelspacher die Debatte um die
Emanzipation der muslimischen Frauen und das Kopftuch in verschiedenen
Strömungen des Feminismus nach. Dabei zeigt sich, dass auch die Forderung
nach Menschenrechten der Legitimation von Dominanzverhältnissen dienen
kann, wenn eine bestimmte Form ihrer Umsetzung über unterschiedliche
gesellschaftliche Strukturen und soziale Kontexte hinweg für alle als verbind-
lich erklärt wird. Demgegenüber muss die Rolle von Frauen als Symbol für
die jeweilige Kultur dekonstruiert werden, um ihrer Funktionalisierung im
›Kampf der Kulturen‹ entgegenzutreten. Erst dann lässt sich der konkrete An-
teil von Männern und Frauen sowie von sozioökonomischen Verhältnissen
und kulturellen Traditionen an der Aufrechterhaltung von Herrschaft und Un-
terdrückung identifizieren. Entgegen der häufig vorherrschenden Wahrneh-
mung von Musliminnen als Opfer und nicht als aktive soziale und politische
Akteurinnen mit kollektiver Handlungsfähigkeit, verweist Riem Spielhaus
darauf, dass der ›Kopftuchdiskurs‹ auch die Einbeziehung muslimischer Frau-
en und Männer in Debatten um Gesetzgebungsverfahren bewirkte. Als dis-
kursives Ereignis trug die ›Kopftuchdebatte‹ zur Formierung und Vereinigung
sowie gleichzeitig zur Ausdifferenzierung und Polarisierung muslimischer
Gruppen und Positionen im gesellschaftspolitischen Diskurs bei. Darüber
hinaus entfaltete die mit dem ›Kopftuchstreit‹ begonnene Diskussion um die
Lebenssituation muslimischer Frauen einen erheblichen Einfluss auf Posi-
tionen und Engagement von Musliminnen in islamischen Gemeinden und
Verbänden. Die ambivalente Position, in der sich muslimische Frauen häufig
befinden, wird von Indre Monjezi Brown weiter ausgeführt. Dabei definiert
sie grundlegend den Begriff ›Kopftuch‹/›Hijab‹, erklärt die dahinter stehen-
den Koranregeln und erläutert den Zusammenhang zwischen Hijab und Isla-
mischem Feminismus. Sie verweist auf die Diversität muslimischer Frauen
und die Möglichkeit der Diskurserweiterung durch neue Sichtweisen und An-
sätze. Infolge der den Diskursen innewohnenden Machtasymmetrie zwischen
islamischen Feministinnen und Feministinnen der ›Dominanzkultur‹ wird je-
doch ihrer Meinung nach die Chance auf einen gemeinsamen Kampf von
Feministinnen unterschiedlicher Richtung für Geschlechtergerechtigkeit ver-
schenkt.
Die letzten beiden Beiträge des Buches werfen einen Blick zurück auf die
›Becklash-Debatte‹. Als Reaktion auf das ›Kopftuchurteil‹ des BVerfG vom
24.09.2003 initiierten Marieluise Beck, Barbara John und Rita Süssmuth
einen »Aufruf wider eine Lex Kopftuch« (Beck et al. 2003), den sie zu-
sammen mit rund 70 namhaften Frauen aus Politik und Gesellschaft am
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik