Page - 24 - in Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Image of the Page - 24 -
Text of the Page - 24 -
PETRA ROSTOCK/SABINE BERGHAHN
24
01.12.2003 in Berlin der Presse vorstellten. Barbara John erläutert als Mit-
initiatorin aus dem Rückblick, warum sie die »Gelegenheit ergriffen, in aller
Öffentlichkeit eine Auseinandersetzung zu führen über grundlegende Wer-
tefragen wie die Glaubensfreiheit, das Selbstbestimmungsrecht, einen kul-
turell-religiösen Pluralismus und die Gleichbehandlung der Geschlechter«.
Dabei kritisiert sie, dass Musliminnen mit beruflichen Ambitionen durch die
Restriktionen des Kopftuchtragens in der Öffentlichkeit »zu Kindern, Küche
und Moscheeverein zurückverwiesen wurden«. Deshalb setzt sie sich auch
weiterhin für eine religiös pluralistische Gesellschaft ein, »die auf dem
Grundsatz aufbaut: Wage es, frei zu sein und schütze die Freiheitsrechte der
anderen!« Dagegen sahen Halina Bendkowski, Helke Sander und Günter Lan-
ger in dem »Aufruf wider eine Lex Kopftuch« (Bendkowski et al. 2003) einen
»Becklash« (ebd.) gegen Frauenrechte und forderten (ebenfalls) die Durch-
setzung von Freiheitsrechten von Migrantinnen – jedoch mit entgegengesetz-
ter Tendenz (siehe auch Haug 2004; Rommelspacher 2004).11 Im Interview
mit Sabine Berghahn und Petra Rostock erläutert Halina Bendkowski, warum
sie den gesellschaftlichen Umgang mit der Kopftuchfrage als feministischen
Verrat und das Kopftuch als sexistische Inszenierung und soziale Zurichtung
empfindet. Gleichzeitig thematisiert sie, dass der Neoliberalismus eine ver-
heerende Entsolidarisierung befördert habe, die in einer fehlenden Umver-
teilung nicht nur von Ressourcen sondern auch von Bildung, von Förderung
und von Chancen auf ein Leben auch jenseits von Religion und Familie re-
sultiert. Demgegenüber betont sie die Verpflichtung von Staat und Gesell-
schaft dafür zu sorgen, dass Frauen und Mädchen zu keiner Unterordnung ge-
zwungen werden dürfen.
Ausblick
Obwohl im Alltag wahrgenommen wird, dass nicht alle Muslime und Mus-
liminnen gleich sind und dass die Bandbreite innerhalb der muslimischen
Gemeinschaft genauso groß ist wie bei anderen Religionsgemeinschaften,
wurde und wird in den Kopftuchdebatten gegenüber dem Islam ein General-
verdacht des Fanatismus und der Frauenunterdrückung geäußert und so die
11 Darüber hinaus erschien am 14. Februar 2004 ein offener Brief in der tages-
zeitung (taz). Die Unterzeichnerinnen sind »demokratisch gesinnte Migrantin-
nen aus muslimischen und anderen Ländern gemeinsam mit Angehörigen der
Mehrheitsgesellschaft«, die das Kopftuch in den Schulen untersagen möchten,
um das Verfassungsprinzip der Neutralität in der Schule zu wahren. Gleichzeitig
kritisieren sie, dass Beck et al. aus einer paternalistischen Position heraus spre-
chen, als seien Sie Beschützerinnen aller Musliminnen gegen bestimmte Denk-
muster innerhalb der Mehrheitsgesellschaft, womit sie den großen Teil der Mus-
liminnen, die gar kein Kopftuch tragen, ignorieren und entmündigen; siehe Abend-
roth et al. 2004.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik