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SABINE BERGHAHN
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chen für Lehrkräfte zu verbieten, konnte von vornherein damit gerechnet
werden, dass Baden-Württemberg alsbald ein solches Kopftuchverbotsgesetz
erlassen würde, auf dessen Grundlage die Beschwerdeführerin Fereshta Ludin
noch einmal – und nun rechtmäßig – abgelehnt werden würde. So geschah es,
und das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), welches 2004 ein zweites Mal
über Ludins Klage zu entscheiden hatte, beurteilte nunmehr auch die zweite
Ablehnung auf der Grundlage des veränderten Schulgesetzes als rechtens.6
Der Teilerfolg in Karlsruhe war für Kopftuch tragende muslimische Lehre-
rinnen oder Bewerberinnen für das Lehramt letztlich ein Misserfolg. Die Jus-
tiz zu bemühen, hat nicht die erwartete Wende zur Verteidigung des Rechts
zum Kopftuchtragen gebracht. Allerdings ist seitdem für die andere Hälfte der
Bundesländer, in denen keine Verbotsgesetze bezüglich religiöser Kleidung in
Kraft sind, geklärt, dass allein das Kopftuchtragen nicht als Ablehnungsgrund
gegen Lehramtsbewerberinnen verwendet werden darf und die Schulbehörde
kein Abnehmen der Kopfbedeckung verlangen darf, sofern die Lehrerin nicht
durch ihr Verhalten ›konkrete Gefahren‹ für die staatliche Neutralität, den
Schulfrieden oder die negative Glaubensfreiheit von Schüler/inne/n herauf-
beschwört.
An dieser erfolglosen Einschaltung der Justiz hat sich seitdem für
Betroffene im Prinzip wenig geändert: Außer im Fall einer Bremer Referen-
darin ist zumindest in höheren Instanzen immer nur gegen die Kopftuch
tragenden Lehrerinnen oder Lehramtsbewerberinnen entschieden worden.
Der Erfolg der Bremer Referendarin beim BVerwG, die sogar vom Vor-
bereitungsdienst ausgeschlossen7 worden war, kann dagegen lediglich als
halber Erfolg gewertet werden, da es sich beim Referendariat nur um eine
vorübergehende Stellung im öffentlichen Dienst handelt und um eine mono-
polartige öffentlich-rechtliche Berufsausbildung. Damit würde der Ausschluss
das Recht der Berufsausbildungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG verletzen.
So wurde der Muslimin schließlich in oberster Instanz Recht gegeben. Ihr und
anderen Referendarinnen mit Kopftuch ist die Möglichkeit zu geben, soweit
nicht problematische individuelle Verhaltensweisen vorliegen, die eine Nicht-
zulassung zum Referendariat begründen könnten, den Vorbereitungsdienst in
einem öffentlich-rechtlichen Anstellungsverhältnis (außerhalb des Beamten-
dienstes) zu absolvieren.
In den anderen Fällen, in denen es um die Einstellung oder die Fortdauer
der Beschäftigung als Lehrerin oder Schulsozialarbeiterin ging, haben die Ge-
richte im Wesentlichen die restriktiven Maßnahmen der Schulbehörden ge-
billigt und damit auch die Verfassungskonformität der Verbotsgesetze bejaht.
6 BVerwG v. 24.6.2004, Az. 2 C 45.03, BVerwGE 121, 140 ff.
7 VG Bremen v. 21.06.2005, Az. 6K 2036/05; OVG Bremen vom 21.2.2007,
Zeitschrift für Öffentliches Recht in Norddeutschland (NordÖR) 2007, 214;
BVerwG v. 26.06.2008, Az. 2 C 22.07, NJW 2008, 3654 ff.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik