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SABINE BERGHAHN
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Bundesländer ohne Verbotsgesetze
Die verbliebenen acht anderen Bundesländer haben keine Neuregelung er-
lassen, entscheiden also von Fall zu Fall nach den allgemeinen beamten-
rechtlichen Regelungen und Grundsätzen des BVerfG, wobei nur ›konkrete‹
Gefahren für die staatliche Neutralität in religiösen Fragen und andere Rechts-
güter durch Kopftuchverbot im Einzelfall bekämpft werden können. Es
kommt dann auf das konkrete Verhalten der Person an. Schleswig-Holstein
hat sich darauf besonnen, entgegen der früheren Absicht kein explizites Ver-
botsgesetz zu schaffen, sondern bewusst eine pluralistische Möglichkeit zur
Manifestation der eigenen Glaubensbindung zu lassen.25 Interessanterweise
mündete hier die politische Pattsituation, dass die CDU in der Großen Koa-
lition nur das muslimische Kopftuch bei Lehrkräften verbieten wollte, die
SPD dies aber nicht mitzutragen bereit war und lediglich eine alle Religionen
gleich behandelnde Formulierung ins Schulgesetz aufnehmen wollte, letzt-
endlich in den Kompromiss, nichts an der bislang geforderten ›offenen Neu-
tralität‹ zu ändern. Diese Rechtslage gilt laut BVerfG, wenn die Landesge-
setzgebung keine spezifische Gesetzesgrundlage zur strikteren Fassung der
staatlichen Neutralität verabschiedet. Anders als andere Landesregierungen,
die ebenfalls keine Veränderungen vorgenommen haben, machte diese jedoch
›aus der Not eine Tugend‹ und vertrat den Kompromiss nach außen als
aktives Bekenntnis zur pluralistischen und toleranten Interpretation von reli-
giöser Neutralität.26
Fälle in der Privatwirtschaft: Das ›Kopftuch der Verkäuferin‹
Für den Bereich der Privatwirtschaft hat eine Entscheidung des BAG bereits
im Jahre 200227 Aufmerksamkeit erregt. Die betroffene Verkäuferin, ange-
stellt in der Parfümerie-Abteilung eines Warenhauses in einer hessischen
Kleinstadt, hatte zunächst kein Kopftuch getragen. Nach einer erziehungs-
bedingten Freistellung war sie jedoch mit Kopftuch zur Arbeit erschienen. Da
sie es nicht mehr abnehmen wollte, kündigte ihr der Arbeitgeber. Sie führte
einen arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzprozess, verlor aber in erster und
zweiter Instanz. Erst durch die Revision beim BAG wurde die Kündigung als
25 Siehe die Pressemitteilung des evangelischen Pressedienstes (epd) »Schleswig-
Holstein kippt Kopftuch-Verbot« v. 26.09.2006, abrufbar: http://www.epd.de/
nachrichten/nachrichten_index_45274.php3, 09.05.2008.
26 Siehe »Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens in Schleswig-Holstein
verabschiedet«, in: ›Hintergrund-Information‹ v. 24.01.2007 des ›Ministeriums
für Bildung und Frauen des Landes Schleswig-Holstein‹, abrufbar:
http://www.schlosser-keichel.de/dateien/politik/Schulgesetz/Hintergrund_neues
_Schulgesetz.pdf, 12.04.2008.
27 BAG vom 10.10.2002, NJW 2003, 2815 f.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik