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SABINE BERGHAHN
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Zum Teil konnten sie dennoch weiter mit Kopftuch Recht sprechen, zum Teil
wurden sie wegen Befangenheit abgelehnt. Da sie keine Beschäftigten im öf-
fentlichen Dienst sind, können entsprechende Kopftuchverbotsgesetze sie
nicht verpflichten, die Kopfbedeckung abzunehmen. Auch in Nordrhein-
Westfalen ereigneten sich 2006 und 2007 weitere Konfliktfälle, in denen
Schöffinnen mit Kopftuch von Vorsitzenden Richtern ausgeschlossen wurden
und dann Gerichte über den Ausschluss zu entscheiden hatten. So entschied
z.B. das Landgericht (LG) Bielefeld,31 dass die Schöffin T.L. nicht von der
Schöffenliste zu streichen sei. Sie sei nicht generell ungeeignet für die Aus-
übung des Schöffenamtes, es bleibe eine Frage des Einzelfalls, ob Personen
mit Kopftuch die nötige Unparteilichkeit aufbrächten.
Kopftuchkonflikt national befriedet?
Zusammenfassend lässt sich die Frage, ob der ›Kopftuchkonflikt‹ in Deutsch-
land mehr als fünf Jahre nach dem verfassungsgerichtlichen Urteil, das die
Regelungskompetenz für Verbote religiöser Zeichen oder Kleidung in die
Hände der Bundesländer gelegt hat, mittlerweile gelöst oder entschärft sei,
nur negativ beantworten. Die abweisenden Urteile gegenüber den betroffenen
Kopftuch tragenden Lehrerinnen haben muslimische Kreise zum Teil noch
weiter verbittert und sind Wasser auf die Mühlen der Kritiker/innen der
Verbotsgesetze.
Dass sich in der deutschen gesellschaftlichen Debatte die Gegner/innen
und Befürworter/innen von Kopftuchverboten konfrontativ gegenüberstehen
(zur feministischen ›Aufrufkontroverse‹ siehe auch John und Berghahn/
Rostock/Bendkowski in diesem Band), war zu erwarten, dass aber die Rege-
lungsstrategie innerhalb eines Nationalstaats so stark differiert und moderie-
rende Strategien und Überlegungen kaum zum Zug kamen, verwundert.
Auch die Unbekümmertheit der Bundesländer bezüglich der Standards in
Europa erstaunt. Sowohl die christlich-abendländischen Regelungen in fünf
Bundesländern als auch die eher laizitären in drei anderen Ländern sind pro-
blematisch und verletzen liberale Grundrechts- und Menschenrechtsstandards.
Zu diesem Ergebnis kam jedenfalls eine Analyse der Menschenrechtsorga-
nisation Human Rights Watch, die im Februar 2009 in Berlin der Öffentlich-
keit vorgestellt wurde (Human Rights Watch 2009).
31 LG Bielefeld v. 16.03.2006, Az. 3221 b E H 68.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik