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Der Stoff, aus dem Konflikte sind - Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
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SABINE BERGHAHN 60 Bevölkerung diesen Beweis nicht liefern. Sicherlich gibt es Mädchen und Frauen, die das Kopftuch nur wegen des Drucks ihrer Angehörigen tragen, aber deutlich häufiger ist in der jüngeren Generation eine freiwillig getragene Kopfbedeckung. Oftmals grenzen sich junge Musliminnen damit sogar von ihren Elternhäusern und Müttern ab, indem sie sich ›bedecken‹, während die Mutter kein Kopftuch trägt. Gerade die im Rampenlicht der Kontroverse ste- henden gut qualifizierten Lehramtskandidatinnen gehören zur Gruppe der das Kopftuch freiwillig und bewusst tragenden Frauen. Kommen wir zurück zur deutschen Mehrheitsgesellschaft und zu ihren politischen Repräsentanten: Indem die Ablehnung des Islams mit der Unter- stellung verknüpft wird, gläubige Muslime stünden unter dem totalitären Druck einer rückständigen und frauenfeindlichen religiösen Ideologie, er- scheint es scheinbar plausibel, dass muslimische Frauen an ihrer eigenen Unterdrückung mitwirken und nur durch ›Zwangsbefreiung‹, also Entschleie- rung (Braun/Mathes 2007), von der erzwungenen selbstunterdrückerischen Loyalität entbunden werden können. Hier sind offenbar spätkoloniale All- machtsphantasien am Werke (siehe auch Barskanmaz in diesem Band). ›Un- sere Kultur‹, der Okzident mit seinen ›modernen aufgeklärten Werten‹ und insbesondere mit dem erreichten Stand der Frauenemanzipation steht demge- genüber als fortgeschritten, frauenfreundlich und überlegen da. In Wirklich- keit sind viele von denen, die Geschlechterverhältnisse von Muslimen als rückständig erachten, selbst keine Anhänger von Gleichstellung und Frauen- emanzipation. Dies trifft etwa auf Udo di Fabio zu, einen Mitautor der Ab- weichenden Meinung zum ›Kopftuchurteil‹ im BVerfG. In seinem Buch »Die Kultur der Freiheit« (2005) legt er im Kapitel über die Familie wortreich seine Wertschätzung für die »Lust am Unterschied« (ebd.: 144) zwischen Männern und Frauen dar und beklagt u.a., dass der »neue Lebensstil der betonten Ge- schlechtergleichheit sich vor alle Sozialmodelle« (ebd.) schiebe, »die die Dif- ferenz der Geschlechter hervorheben, obwohl die Differenz selbst im Kern vermutlich von keiner zivilisatorischen Prägung abhängt« (ebd.). Sein pro- nonciertes Differenzdenken, seine Trauer über den Verfall der kindzentrierten Lebens- und Familienplanung heutiger Frauen (und Männer), bei dem »die al- les mitreißende Idee intimster Einheit im gemeinsamen Kind unter die Mühl- steine eines eindimensionalen Individualismus gerät« (ebd.: 145) und seine Sorge um die Institution Ehe sind wohl nicht so weit von einem als durch- schnittlich konservativ imaginierten Geschlechter- und Familienbild entfernt, welches muslimischen Bevölkerungsgruppen in Europa zugeschrieben wird.
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Der Stoff, aus dem Konflikte sind Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Title
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Subtitle
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
Authors
Sabine Berghahn
Petra Rostock
Publisher
transcript Verlag
Date
2009
Language
German
License
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-89942-959-6
Size
14.7 x 22.4 cm
Pages
526
Keywords
Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
Category
Recht und Politik
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