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SELIGE MUSLIMINNEN ODER MARGINALISIERTE MIGRANTINNEN?
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Formierung von Identitäten und Zugehörigkeiten. Gleichzeitig ermöglicht uns
dieser Fokus auf die Regulierung von Teilhabechancen die Beziehungen
zwischen den Erklärungsfaktoren in den Blick zu bekommen. Wie Bernhard
Perchinig ausführt, ist »die Gleichberechtigung aller auf einem Territorium
Lebenden und die Anerkennung der prinzipiellen Legitimität von Interessen-
artikulation und Interessenkonflikten« (Perchinig 1999: 64) eine Vorausset-
zung für die Entwicklung von progressiven Lösungsansätzen in pluralen Ge-
sellschaften. Diese Gleichberechtigung bezieht sich auf residentielle, ökono-
mische, soziale und politische Bereiche, »bedeutet also Aufenthaltssicherheit,
gleichberechtigter Zugang zu allen Märkten, insbesondere den Arbeitsmarkt,
Gleichheit im sozialrechtlichen Bereich sowie politische Partizipation« (ebd.).
Für die Betrachtung, inwieweit die Voraussetzungen für eine so ver-
standene Gleichberechtigung in Österreich gegeben sind, werden wir in einem
ersten Teil auf die österreichische Situation eingehen, ehe wir in einem
zweiten Teil die Analyse dieser Situation mit Hilfe der genannten Faktoren
näher beleuchten. In einem dritten und letzten Teil werden wir der Frage
nachgehen, warum die faktische Teilhabe von muslimischen Frauen dennoch
so gering ist und welche Bedingungen für eine gleichberechtigte Partizipation
aus dieser Perspektive relevant werden.
Für das Recht auf Kopftuch:
›Tolerantes‹ Kopftuchregime
bei fehlendem Konflikt
Verglichen mit anderen europäischen Einwanderungsländern, ist die öster-
reichische Situation von einem weit gehenden Fehlen ausgetragener Konflikte
bezüglich des Kopftuchs gekennzeichnet. Einige wenige Streitfälle bezogen
sich vor allem auf den schulischen Raum. Vorrangig entstanden diese Fälle,
da sich Schulleitungen gegen das Tragen des Kopftuchs durch Schülerinnen
auf Grund schulinterner Kleidungsvorschriften aussprachen (Gresch et al.
2008). Die Konflikte wurden jedoch von verantwortlicher staatlicher Stelle im
Sinne einer Zulassung des Kopftuchs beigelegt, so dass sich daraus kein an-
haltender ›Kopftuchstreit‹ ergab. Von Bedeutung ist hier ein 2004 veröffent-
lichter Erlass des damaligen ›Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und
Kultur‹ (BMBWK), welcher nach einer Auseinandersetzung an einer Schule
das Recht auf Kopftuch auf Basis der freien Religionsausübung festhielt
(BMBWK 2004). Der Erlass wurde auf Initiative der IGGiÖ veröffentlicht
und stellt einen Referenzrahmen für die rechtliche Handhabung der ›Kopf-
tuchfrage‹ dar.5
5 Die Presse v. 17.05.2004.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik