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NORA GRESCH/LEILA HADJ-ABDOU
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Die mangelnde Konfliktträchtigkeit zeigt sich auch daran, dass sich zum
einen bislang kaum Repräsentanten und Repräsentantinnen aus relevanten ge-
sellschaftlichen, politischen und ökonomischen Feldern, wie Kirche, Parteien,
Frauenbewegung oder Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitge-
ber und Arbeitgeberinnen öffentlichkeitswirksam zur ›Kopftuchfrage‹ äußerten.
Zum anderen begegnete die politische Elite Österreichs den Versuchen das
Kopftuch zu problematisieren primär mit der Verteidigung und Bestätigung der
österreichischen Position einer zulassenden Haltung. Als die feministische
Journalistin Elfriede Hammerl das Kopftuch als frauenunterdrückende Praxis
medial thematisierte, wandten sich Vertreterinnen der IGGiÖ an den dama-
ligen zweiten Nationalratspräsidenten und heutigen österreichischen Bun-
despräsidenten Heinz Fischer. Daraufhin schrieb Fischer an die Journalistin:
»Unlängst haben wir im Nationalratssitzungssaal eine Anhörung von Vertretern der
Religionsgemeinschaften für den österreichischen Verfassungskonvent durchgeführt
und die Vertreterin der muslimischen Gemeinschaft war eine Frau […] und ich war
eigentlich ziemlich stolz auf diesen Anblick und habe mir gedacht, es ist schön, dass
Österreich ein Land ist, wo eine Frau mit dem Kopftuch (als Ausweis ihrer Reli-
gionszugehörigkeit) sogar im österreichischen Nationalratssitzungssaal ungestört und
ohne dass irgend jemand daran Anstoß nimmt, sitzen kann« (Fischer 2003).
Als erstmalig öffentlichkeitswirksam die Nationalratsabgeordnete der
›Freiheitlichen Partei Österreichs‹ (FPÖ) Helene Partik Pablé im Jahre 2003
ein Kopftuchverbot in Schulen forderte, reagierte der damalige Bundeskanzler
von der ›Österreichischen Volkspartei‹ (ÖVP) Wolfgang Schüssel mit der
Aussage: »Wir müssen nicht jede Diskussion aus Deutschland importieren«
(ORF o.J.).
Die ÖVP richtete sich immer wieder gegen Forderungen nach Verboten
und rekurrierte dabei vor allem auf die Anerkennung des Islams, aber auch
auf die Rolle von Religion in Österreich. Die Frage bezüglich islamischer
Symbole im öffentlichen Raum wurde mit der Frage von christlichen Sym-
bolen verknüpft. »Deren Kopftuch [der Nonnen, Anm. d. Verf.] lasse ich mir
von niemandem verbieten. Wenn Kopftuchverbot, dann für alle. Doch diese
guten Frauen sollen ruhig ihren Schleier tragen können« (Erzdiözese Wien
2003), unterstrich zum Beispiel der damalige ÖVP-Nationalratspräsident
Andreas Khol. Ebenso trat das von der FPÖ abgespaltete ›Bündnis Zukunft
Österreich‹ (BZÖ) in der Phase der Regierungsbeteiligung gegen ein mög-
liches Kopftuchverbot ein. Die damalige Justizministerin und Vizepartei-
vorständin Eva Miklautsch äußerte sich gegen ein Kopftuchverbot mit der
Argumentation: »Dann müssten wir auch österreichischen Frauen verbieten,
ihr Kreuz zu tragen« (zit. nach OTS 2005).
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik