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DAS KOPFTUCH IN DER SCHWEIZ
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namentlich Art. 14 EMRK, Art. 2 Abs. 1 und Art. 26 des UNO-Paktes II so-
wie Art. 2 KRK. Die Schweiz hat das 12. Zusatzprotokoll zur EMRK vom
04.11.2000, welches ein selbständiges Diskriminierungsverbot enthält, bisher
nicht ratifiziert. Die Schweiz hat überdies zum oben erwähnten selbständigen
Art. 26 des UNO-Paktes II einen Vorbehalt angebracht, welcher die Geltung des
Diskriminierungsverbots auf die Anwendung der Paktgarantien beschränkt.19
Art. 2 Abs. 2 UNO-Pakt I20, welcher Diskriminierungen auf Grund der Religion
im Bereich der Sozialrechte untersagt, ist nach herrschender Lehre direkt an-
wendbar (allgemein zur Justiziabilität der Sozialrechte siehe Kälin/Künzli: 302
f), das BG hat allerdings die direkte Anwendbarkeit der Sozialpaktrechte bisher
verneint.21
Gleichstellungsrechtlicher Verfassungsauftrag des Staates
Art. 8 Abs. 2 BV verbietet Diskriminierungen auf Grund des Geschlechts. Er
wird ergänzt durch Art. 8 Abs. 3 BV (und durch die von der Schweiz rati-
fizierte Frauenrechtskonvention22), welcher den Staat dazu verpflichtet, ge-
setzlich für die rechtliche und tatsächliche Gleichstellung der Frau zu sorgen,
namentlich in den Bereichen Familie, Ausbildung und Arbeit. Welche zivil-,
straf- und öffentlichrechtlichen Regulierungen zum Schutz vor Geschlechter-
diskriminierung und zur Verwirklichung der Gleichstellung zulässig sind, be-
urteilt sich auch nach Maßgabe der anderen, ebenfalls zu gewichtenden
Grundrechte. Wichtig in diesem Zusammenhang sind insbesondere das Recht
auf Privat- und Familienleben sowie die Glaubens- und Gewissensfreiheit.
Politikerinnen bzw. Politiker, die Kopftuchverbote im außerschulischen
Staatsdienst oder (sogar) in der Öffentlichkeit wünschen, berufen sich unter
anderem auf gleichstellungsrechtliche Argumente.23 Nun befinden sich aber
(repressive) staatliche Kleidertrageverbote verfassungsrechtlich auf einer ganz
anderen Ebene als etwa (pro-aktive) gleichstellungspolitische Maßnahmen in
sozialer, wirtschaftlicher oder bildungspolitischer Hinsicht. Letztere sind
19 Siehe ›Systematische Sammlung des Bundesrechts und des internationalen
Rechts‹, Amtliches Zeichen SR 0.103.2; Botschaft des Bundesrates v.
30.01.1991, BBl/FF 1991 I 1189/1129/925.
20 »Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte« v.
16.12.1966, UNO-Pakt I, in Kraft getreten für die Schweiz am 18.09.1992.
21 Siehe u.a. BGE v. 20.07.1995, BGE 121 V 246, 250; BGE v. 20.11.1995, BGE
121 V 229, 232.
22 »Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau« v.
18.12.1979, in Kraft getreten für die Schweiz am 26.04.1997.
23 Rechtsbürgerliche Kritiker/innen von sichtbaren religiösen Zeichen der muslimi-
schen Glaubensminderheit berufen sich gerne und oft auf die verletzten Rechte
der Frauen. Interessanterweise handelt es sich bei vielen von ihnen exakt um je-
ne konservativen Kreise, die sich vehement gegen die Verwirklichung des neuen
Ehe- und Scheidungsrechts und das Gleichstellungsgesetz zur Wehr setzten.
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik