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STEPHIE FEHR
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Hintergründe
In Anbetracht der Tatsache, dass es sich beim Vereinigten Königreich und
Deutschland um zwei Mitgliedstaaten der EU handelt, die den arbeitsrecht-
lichen Regelungen der EU zur Diskriminierungsvermeidung auf Grund von
Religion unterliegen, drängt sich die Frage auf, was der Ursprung für die sehr
unterschiedlichen rechtlichen Ergebnisse ist. Einerseits bestehen – mit Aus-
nahme der deutschen Schulgesetze – vergleichbare Vorschriften in beiden
Staaten, welche die Religionsfreiheit schützen, aber auch Einschränkungen
zulassen. Anderseits weist die sehr unterschiedliche Interpretation der grund-
sätzlichen Regelungen darauf hin, dass jeweils ein grundverschiedenes Ver-
ständnis für die Bedeutung und die Inhalte der Religionsfreiheit herrscht. An-
sätze zur Erläuterung des britischen Verständnisses sind im Folgenden darge-
stellt und werden mit Literaturmeinungen gegenüber den Unterschieden in
Deutschland ergänzt. Auf Grund der Vielschichtigkeit und Anzahl der po-
tentiellen Ursachen ist es nicht möglich, eine umfassende Erklärung zu geben.
Die Komplexität der Unterschiede wird insofern ausgezeichnet von Samantha
Knights in einem Satz zusammengefasst: Die den Sachverhalten religiöser
Kleidung zu Grunde liegende Auseinandersetzung um Identität, Integration
und Unterschiede werde innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten unterschiedlich
geführt und sei jeweils ein Ergebnis verzweigter Wechselwirkung zwischen
historischem Zusammenhang, der Beziehung von Kirche und Staat, postkolo-
nialer Politik, Mustern und Einstellungen zu Immigration sowie der Idee von
Staatsbürgerschaft und nationaler Identität (Knights 2005: 499).
Zum einen lohnt sich ein näherer Blick auf das britische Verhältnis von
Kirche und Staat. Seit dem 16. Jahrhundert steht den Monarchen und Mo-
narchinnen der Titel des ›fidei defensor‹ zu, ein damals üblicherweise vom
Papst verliehener Titel, der die Beziehungen zu Staaten stärken und/oder den
Einfluss von Rom in Staatsangelegenheiten sichern sollte. Der erste englische
Würdenträger Heinrich VIII trennte sich zwar alsbald aus allgemein bekann-
ten Gründen von der katholischen Kirche, doch entschied das Parlament, dass
der Titel des ›Verteidigers des Glaubens‹ weiterhin beibehalten werden sollte
(Ipgrave 2003: 209 f). Der heutige Thronfolger hat bedeutungsschwer ange-
kündigt, dass er in seiner zukünftigen Rolle als ›fidei defensor‹ nicht Ver-
teidiger des (christlichen) Glaubens, sondern Verteidiger von religiösem
Glauben im Allgemeinen sein werde. Daraus spricht die Absicht, die Vielfalt
der Religionen des Vereinigten Königreiches zu vertreten und sich für deren
Freiheit einzusetzen (ebd.: 207 und 210). Die merkwürdig anmutende Auf-
rechterhaltung des Titels ›fidei defensor‹ sollte nicht von der einschneidenden
politischen Signalwirkung und Weitsicht dieser Aussage ablenken. Unter dem
Schirm der Anglikanischen Kirche werden bereits in diese Richtung führende
Initiativen durchgeführt. So gibt es zum Beispiel einen konfessionsüber-
Der Stoff, aus dem Konflikte sind
Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Title
- Der Stoff, aus dem Konflikte sind
- Subtitle
- Debatten um das Kopftuch in Deutschland, Österreich und der Schweiz
- Authors
- Sabine Berghahn
- Petra Rostock
- Publisher
- transcript Verlag
- Date
- 2009
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-89942-959-6
- Size
- 14.7 x 22.4 cm
- Pages
- 526
- Keywords
- Religion, Migration, Geschlechterverhältnisse, Demokratie, Rechtssystem, Politik, Recht, Islam, Islamwissenschaft, Gender Studies, Soziologie, Democracy, Politics, Law, Islamic Studies, Sociology
- Category
- Recht und Politik